von Lena Behrends
Habe ich das gerade wirklich getan? Mia saß an ihrem Schreibtisch und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Nachdem sie ihm ihre Nummer gegeben hatte, hatte sie sich umgedreht und ihn ohne ein weiteres Wort zu sagen verwirrt im Gang stehen lassen. Ich hoffe, dass ich ihn damit nicht vergrault habe. Als sie nach ihrem Kaffeebecher griff, hörte sie ihr Handy in der Tasche ihrer Jacke, welcher über ihrer Stuhllehne hing, vibrieren. Sie kramte es hervor und schaute hoffnungsvoll nach, ob Mike ihr bereits geschrieben hatte. Und tatsächlich; es ploppte eine Nachricht von ihm auf. Hey Mia, Mike hier. Wollen wir unsere Unterhaltung demnächst weiterführen? Wenn du Lust hast, sag gerne Bescheid, wann du Zeit hast. Ich habe eh ab Mittwoch drei Wochen Urlaub und würde mich komplett nach dir richten, LG. Mias Herz schlug Purzelbäume. Natürlich wollte sie die Unterhaltung weiterführen. Ein Kaffee war dafür ein gutes Mittel zum Zweck. Sie schaute sich um, ob ihr neuer Chef in der Nähe war und tippte eine Antwort. Hey Mike, sehr gerne. Wollen wir uns Samstag treffen? Da habe ich noch nichts vor. Wir haben bei uns in Drochtersen ein neues Café; wollen wir das vielleicht ausprobieren? Die genaue Uhrzeit können wir ja noch festlegen. Ich muss noch bis 18 Uhr arbeiten und bin dann beim Sport. Wir können danach vielleicht noch schreiben. Mia steckte das Handy wieder weg und widmete sich wieder ihrer Arbeit, damit sie nicht gleich am ersten Tag bereits Ärger bekam. Sie wunderte sich, wieso Mike so früh schon die Zeit hatte, sie anzuschreiben. Doch ein Blick auf die Uhr beantwortete ihre Frage. Es ist halb drei. Wahrscheinlich hat er Frühschicht und ist gerade zu Hause angekommen. Hoffnungsvoll dachte sie an ihr potenzielles Date. Vielleicht bin ich diesmal ja an einen vernünftigen Kerl geraten.
Leise fiel die Tür des Fitnessstudios hinter ihr zu. Endlich hatte sie es für heute geschafft. Jetzt freute sie sich einfach nur auf ihr Sofa zu Hause. Sie setzte sich in Bewegung und musste noch die Stader Innenstadt durchqueren, um zu ihrer Bushaltestelle zu kommen. Da ihr Auto sich zurzeit in der Werkstatt befand, war sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Sie war froh, dass um diese Uhrzeit überhaupt noch ein Bus in Richtung ihres Heimatortes fuhr. Der Gedanke, abends im Dunkeln noch durch die Fußgängerzone gehen zu müssen, gruselte sie. Doch wenn sie einen Umweg lief, verpasste sie den Bus, welcher der letzte für heute war und verlor damit ihre einzige Option, nach Hause zu kommen. Sie hatte zwar ihre Eltern fragen können, ob sie sie fahren konnten, aber sie wollte sich ihnen nicht aufdrängen, da diese selbst arbeiten mussten und Mia keine Umstände machen wollte. Tagsüber war die Innenstadt hell und belebt; überall saßen Menschen in den Eisdielen, Cafés und Restaurants und genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Spätsommers. Doch jetzt, gegen 19:30, wo es zu kühl und zu dunkel für diesen Zeitvertreib war, wirkte die Fußgängerzone beinahe bedrohlich, besonders unter der Woche, wo sowieso weniger Treiben herrschte. Die Eisdielen und Cafés waren bereits geschlossen und da Montag war, hatten sämtliche Restaurants Ruhetag. Mia konnte in der Dämmerung, die sich immer mehr in Dunkelheit verwandelte, keine Menschenseele erblicken. Sie blickte starr geradeaus. Und da hörte sie sie. Die Schritte.
© Lena Behrends 2024-07-21