von C.M. Heimbach
Simona hatte ihren lächerlich großen Koffer voller Kleider, die sie nie getragen hatte, gepackt. Die Telefonzeit war vorbei und ihre Handys bis zum Morgen in der bunten Kiste verschwunden. Ihre Erzieherin war bereits kurz nach dem Abendessen gefahren. Die Mädchen saßen dicht beieinander im Kreis. Der Wind, der sich vor den dünnen Glasfenstern anhob, zum hungrigen Sturm zu wachsen, blies stärker. Hoffentlich hielten alle Fenster heute Nacht. Das Internatsgebäude war zuletzt in den 1960er-Jahren saniert worden. Überall zog es. Stufen knarrten und Dielen quietschten von Schritten, die nicht Simonas waren. Auch die anderen Teile der Schule und des Klosters waren uralt und voller düsterer Schatten. Simona fröstelte es. Es war an der Zeit, dass man die Schule schloss.
Ein letztes Mal waren sie heute Abend unter den herrlichen Buntglasfenstern des Gemeinschaftszimmers im Kreis gesessen, hatten geschwatzt, gelacht und das Abendgebet gesprochen.
Die Fensterbilder lang vergessener Heiliger wurden im aufkommenden Sturm zu Szenen der Hölle. Simona sah ihre Freundinnen an. Einige von ihnen kannte sie schon seit vier Jahren. Ein schlechtes Gefühl überkam sie, wenn sie daran dachte, heute Nacht allein mit ihnen in der Schule zu sein. Allein im Sturm.
Schwester Barbara, die Schulleiterin, trat ein. Groß, im schwarzen Kleid und mit schwarzem Schleier. Sie überblickte die Gruppe mit strenger Milde und sah besorgt aus dem Fenster: „Im Radio haben sie einen Jahrhundertsturm angekündigt.“
Sie sagte diese Worte, als hätte sie Simonas Gedanken gelesen. Schwester Barbara konnte Menschen in die Seele blicken. Simona fand die Schwester unheimlich.
„So schlimm ist der Wind doch nicht“, sagte Simona und blickte nach Bestätigung suchend in die Runde. Sie klang dünn und gehetzt. Schwester Barbara nickte. Tiefe Sorgen standen in ihrem alten Gesicht.
„Dürfen wir heute etwas länger wach bleiben?“, fragte Emma. „Ich muss noch meine Runde machen und zusehen, dass überall die Fenster geschlossen sind“, antwortete die Schwester. Sie zündete eine große Gebetskerze an.
„Für den Fall, dass kurz der Strom ausfällt“, sagte sie und verschwand Schlüssel klappernd in den langen Korridoren.
Mit einem unruhigen Gefühl überließen sich die Mädchen der Obhut Schwester Barbaras und dem Schutz der alten Schule. Hoffentlich hielten die Fenster heute Nacht.
© C.M. Heimbach 2022-08-11