3. weiße Rosen

LM P

von LM P

Story

Ich habe mich wochenlang eingesperrt. Mittlerweile kann ich jedes Wort der Briefe von Stellas Kiste auswendig. Ich muss etwas übersehen haben, denn es gibt keine Nebenspur, die darauf hinweist, dass sie noch lebt. Jede Nacht lag ich wach in meinem Bett und gab mir tiefste Schuld an ihrem Tod. Immer wenn ich an sie dachte, musste ich abgelenkt werden. Ich konnte mich nicht einmal selber ablenken. Sonst hätte ich wahrscheinlich das Gleiche versucht, wie Stella am Meer. Zum Glück haben mich Freunde aufgehoben und haben mich zum Feiern gezwungen. Sonst hätte ich Stellas Versuch anfangs vielleicht noch verstehen können und das will ich nicht! In meinem Kopf schwebt nur noch dieser Name. Was ist passiert? Wo ist Stella? Stella… Stella? Stella! Bitte lebe doch. Bitte lass mich dich nochmal sehen. Lass mich dich noch einmal so richtig küssen. Ich kann nicht ohne dich. Es ist so schlimm, dass ich selbst jetzt an sie denke und kurz davor bin, etwas Dummes zu tun, obwohl ich inmitten einer Jungsgruppe voller komischen Geschichten von deren Affären bin. Mir wird eine Kippe angedreht, doch ich lehne sie ab und verabschiede mich.

„Du bist ja voll der Spießer geworden, Jayden.“ Höre ich hinter mir sagen, doch eh ich die Nerven zusammenhalten kann, haue ich ihm eine rein und gehe dann erst. Mein Plan: Stella finden. Zuhause angekommen, greife ich unter mein Bett und ziehe sie – wie jeden Abend – hervor. Als ich den Deckel abmache, dreht sich mein Magen kurz um. Wie jeden Abend. Ich schließe kurz die Augen und atme durch. Da höre ich ihre Stimme wieder in meinem Kopf: ,,Und was ist, wenn ich es wollte? Was, wenn ich es wollte und du mich daran gehindert hast? Weißt du, niemand hätte das gestört – es hätte nicht einmal jemand mitbekommen und auf einmal kommt ein völlig Fremder und versaut mir meinen Plan.“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen.

„Stella ich bin doch kein Fremder!“ sprach ich laut aus, doch als ich die Augen öffnete, merkte ich wie bescheuert ich eigentlich bin. Ich rede mit mir selber und bilde mir Sachen ein, die gar nicht echt sind. Ich halluziniere. Fuck. Ich muss endlich wieder klarkommen! Es klopft. Können die Typen mich nicht endlich in Ruhe lassen?! Ich verstecke schnell wieder die Kiste unterm Bett und gehe zur Tür.

„Habt ihr noch nicht genug?“ Sagte ich wütend, ohne auch nur einen Blick zur Tür zu werfen. Als ich sah, wer vor mir stand, war ich sprachlos. Ich stand da wie angewurzelt und brachte kein Ton raus. Es ist mitten in der Nacht und vor meiner Haustür steht einfach die fremde Frau, die mir vor Wochen den Karton in die Hand gedrückt hat. Stellas Karton.

„Jayden, richtig?“ Sagte die Frau kalt. Sie machte Anstalten, dass ich sie durchlassen soll.

„Ich würde eher gerne wissen, wer Sie sind.“ Sagte ich protzig.

„Ich weiß genau, wer du bist. Schließlich habe ich dir Stellas Karton gegeben.“ Ich machte ihr Platz. Sie setzte sich auf einem Stuhl in meiner offenen Küche und betrachtete die weißen Rosen, die mittlerweile verwelkt sind. Sie waren für Stella, doch ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuschmeißen. Mein Andenken an sie. Ich hatte so viele Fragen.

© LM P 2024-08-17

Genres
Romane & Erzählungen