von Friedeborg Seitz
Beim morgendlichen Aufbruch zur nächsten Etappe komme ich an der „Großen Gitarre“ vorbei. Diese besonders gestaltete Verkehrsinsel wird von einem stählernen Elvis Presley mit seinem Saiteninstrument dominiert. Schlauerweise wurde diese Skulptur in einem Kreisel platziert, sodass der „King of Rock ’n‘ Roll“ von allen Seiten bestaunt werden kann, während er den von der Stadt Friedberg kommenden Autoverkehr zügelt. Tatsächlich sehe ich dieses Kunstwerk schon bald und erinnere mich, dass ich anschließend durch ein flaches Gelände mit wenig Schatten kommen werde. Nun bin ich heilfroh, mich gut eingecremt zu haben. Die Sonne scheint schon hell am Firmament. Es sind keine Wolken zu sehen und so wird mir eine sensationelle Fernsicht über das Land geboten. Zwar sind die Wege auf diesem Abschnitt weitgehend asphaltiert, doch meine Füße haben sich in den letzten zehn Tagen gut eingelaufen. Zudem wird das Auge durch die Anblicke hübscher Ortschaften, den Blumen am Weg oder der Weite über den Feldern stets abgelenkt. So merke ich von dem Asphalt unter den Füßen noch nicht viel. Bei Ober-Wöllstadt steht ein steinernes Kruzifix, umrahmt von zwei Koniferen. An einer Kleingartenanlage vorbei, marschiere ich über Felder, wo es Blumen- und Streuobst-Wiesen gibt. In Nieder-Wöllstadt bekomme ich einen Stempel, obschon die Kirche geschlossen hat und kein Stempelkasten zu finden ist. Ich klingle einfach fröhlich beim Gemeindebüro.
Weiter geht es durch sommerliche Feldwege nach Okarben. Ähnlich wie auf einer Schnitzeljagd, folge ich den dezenten, unauffälligen Hinweisschildern, welche mich zunächst hinter die Kirche und dann zum Gemeindebüro leiten. Dort entdecke ich den Stempelkasten. Diesen Stempel finde ich, obschon er unspektakulär erscheint, besonders schön. Er trägt das schlichte Emblem der evangelischen Kirchengemeinden in violett und darunter den Schriftzug der Gemeinde Okarben. Ich verbinde mit dem Emblem meine Zeit in der evangelischen Friedensarbeit, als bei den Kirchentagen das violette Dreieckstuch eingeführt wurde, mit genau diesem Emblem. Irgendwo in einer Schublade habe ich noch zwei davon liegen. Eines davon trägt den Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“. Mir kommt der Gedanke, dass ich sie hervorholen und auf meinen Pilgerreisen tragen könnte. „Maddin, Du wirst das sicher wissen: Wo steht denn das in der Bibel mit diesen ‚Schwertern zu Pflugscharen‘?“, frage ich ihn als er auf dem Stempelkasten steht und mich mit seinen runden Augen anschaut. Es kommt wie aus der Pistole geschossen: „Jesaja 2, 4!“ und er zitiert fröhlich drauflos: „Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Donnerwetter! Erstaunlich, was Maddin in seiner kleinen Playmobil-Birne hat. Kein Wunder, sein Alter Ego hat schließlich das Buch der Bücher übersetzt. Übrigens tat er es nicht in einem Rutsch, was manche vermuten. Er brauchte für dieses Unterfangen mehrere Etappen. Im Internet werde ich bei „bibel.de“ fündig. Genau so steht es da! Ich wünsche, dass sich diese Prophezeiung eines Tages erfüllen wird. Augenblicklich sieht es in der Welt nicht aus, als ob diese Zeit nah ist. Meine Pause neigt sich dem Ende zu und ich folge einem weiteren Schnitzeljagd-Hinweis, ins nächste Abenteuer!
© Friedeborg Seitz 2023-12-29