von Lukas Stock
Ich sah dem Auto nach, bis es hinter der Hausecke verschwand. Über fünfundzwanzig Jahre waren Michael und ich jetzt verheiratet. Er war meine erste große Liebe gewesen. Manchmal dachte ich, dass genau das der Grund war, warum wir nie wirklich gelernt hatten, wie man eine Beziehung führt – weil wir immer nur uns kannten. . Gleichzeitig konnte es ganz so falsch doch nicht sein, wenn ich unsere Errungenschaften mit dem verglich, was eine Beziehung typischerweise so sein sollte. Und dann war es da wieder, dieses Gefühl der Unzufriedenheit, des Unwohlseins. ‚Ist das vielleicht der natürliche Lauf der Dinge?‘, fragte ich mich innerlich. Vielleicht war ich wütend über diesen Gedanken, vielleicht wollte ich auch einfach nur den sich immer schneller drehenden Strudel aus negativen Emotionen durchbrechen. Heute kann ich das nicht mehr genau sagen, doch an diesem Tag tat ich etwas das ich sonst, als sehr beherrschte Person nie tat und das ich später noch aus verschiedenen Gründen bereuen sollte. Ich schlich auf Zehenspitzen, fast so als wolle ich von niemandem entdeckt werden, in das Wohnzimmer und versuchte verstohlen den Cognakschrank aufzuschließen, der aus besseren Zeiten stets prall gefüllt mit teuren Flaschen war. Wenn Michael, wie die letzten Jahre öfter, in den frühen Morgenstunden heimkam, hörte ich von unserem Schlafzimmer im ersten Stock, wie er leise die Haustür ins Schloss fallen ließ, den Schrank aufschloss und sich mit einem eingefüllten Glas auf den Sessel fallen ließ. Hoch zu mir kam er in solchen Nächten nie, schlafen konnte er aber wohl auch nicht, da ich ihn immer wieder im Erdgeschoss auf und ab, manchmal in die Garage, sein Heiligtum, gehen hörte. Erst nach einer ausgiebigen Dusche und dem Waschen seiner Wäsche glitt er irgendwann zu mir ins Bett und schlief dicht an meiner Seite ein. ‚So entspannt möchte ich auch einmal sein.‘, dachte ich mir dabei oft etwas neidisch und auch ein bisschen wütend . An diesem Tag entschied ich, dass heute der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war. Unglücklicherweise stand zwischen mir und dem verheißungsvollen Tropfen (ich hatte nie wirklich getrunken) jedoch die Glasscheibe eines viel zu teuren Familienerbstücks meiner Großmutter aus Europa. Ich musste also den Schlüssel finden und dies gestaltete sich schwieriger als erwartet. Michael, der ständig alles vergaß und der ohne mich wohl weder regelmäßig essen, noch etwas trinken würde (und selbst wenn, wollte ich mir über die Qualität dessen keine Gedanken machen), hatte den Schlüssel entweder mitgenommen oder ihn sorgsam versteckt. Nach ungefähr einer Stunde Suche ließ ich mich erschöpft auf das Sofa fallen. Etwas in mir wollte schon aufgeben, jedoch hatte ich bereits so viel Zeit damit vergeudet, dass mir das Eingeständnis dieser Niederlage mehr zuwider war als das Fortsetzen dieser. Erst als ich ein paar Minuten so da saß, fiel mir als letzte Möglichkeit die Garage ein. ‚Dort muss der Schlüssel sein!‘, dachte ich mir und sprang mit einem Mal auf, während ich mich selbst dafür schalt nicht früher auf die Idee gekommen zu sein. Zu meiner Verteidigung muss ich jedoch sagen, dass die Garage für Michael so etwas wie die Küche für mich war. Unsere gegenseitigen Territorien die wir jeweils achteten und respektierten. So kam es mir fast wie ein Verrat an ihm vor, als ich vorsichtig zögernd die knarrende Tür in unserem Flur, welches das Haus mit der Garage verband, öffnete.
© Lukas Stock 2025-05-27