von Lukas Stock
Vielleicht war ich wütend über diesen Gedanken, vielleicht wollte ich auch einfach nur den sich immer schneller drehenden Strudel aus negativen Emotionen durchbrechen. Heute kann ich das nicht mehr genau sagen, doch an diesem Tag tat ich etwas das ich später noch aus verschiedenen Gründen bereuen sollte. Ich schlich auf Zehenspitzen in das Wohnzimmer und versuchte verstohlen den Cognakschrank aufzuschließen, der stets prall gefüllt mit teuren Flaschen war (ich trank eigentlich nie). Wenn Michael in den frühen Morgenstunden heimkam, hörte ich von unserem Schlafzimmer im ersten Stock, wie er leise die Haustür ins Schloss fallen ließ, den Schrank aufschloss und sich mit einem eingefüllten Glas auf den Sessel fallen ließ. Hoch zu mir kam er in solchen Nächten nie, schlafen konnte er aber wohl auch nicht. Erst nach einer ausgiebigen Dusche und dem Waschen seiner Wäsche glitt er irgendwann zu mir ins Bett und schlief dicht an meiner Seite ein. ‚So entspannt möchte ich auch einmal sein‘, dachte ich mir dabei oft etwas neidisch und auch ein bisschen wütend. An diesem Tag entschied ich, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war. Unglücklicherweise stand zwischen mir und dem verheißungsvollen Tropfen jedoch die Glasscheibe eines teuren Familienerbstücks meiner Großmutter aus Europa. Ich musste also den Schlüssel finden und dies gestaltete sich schwieriger als erwartet. Michael, der ständig alles vergaß und der ohne mich wohl weder regelmäßig essen, noch etwas trinken würde, hatte den Schlüssel entweder mitgenommen oder ihn sorgsam versteckt. Nach ungefähr einer Stunde Suche ließ ich mich erschöpft auf das Sofa fallen. Etwas in mir wollte schon aufgeben, doch als ich ein paar Minuten so da saß, fiel mir als letzte Möglichkeit die Garage ein. ‚Dort muss der Schlüssel sein!‘, dachte ich mir, während ich mich selbst dafür schalt nicht früher auf die Idee gekommen zu sein. Zu meiner Verteidigung muss ich jedoch sagen, dass die Garage für Michael so etwas wie die Küche für mich war. So kam es mir fast wie ein Verrat an ihm vor, als ich vorsichtig zögernd die knarrende Tür in unserem Flur, welches das Haus mit der Garage verband, öffnete. Nachdem ich die Tür einen Spalt geöffnet hatte, blickte ich unsicher in die abgrundtiefe Schwärze. Prüfend tastete ich die linke Wandseite neben dem Türrahmen nach einem Lichtschalter ab. Surrend und klickend ertönten die Neonröhren nacheinander und erhellten das Innere der Garage in einem unnatürlichen, flackernden Weißton. Ich trat hinein und wurde von einer abgestandenen, schwülen Luft umgeben. ‚Hier verbringt er also immer seine Abende?‘, dachte ich etwas abschätzig und blickte mich um. Tatsächlich war die Garage recht geräumig, neben dem Parkplatz für den Chevrolet hatte Michael auf der von der Tür aus gesehen linken Seite hohe Schränke aufgebaut, die jeweils zu beiden Seiten eine große Werkbank flankierten. Über der Werkband war Metallgitter angebracht, an welchem zahlreiche Werkzeuge nach Größe und Funktionen geordnet hängten. Auf der rechten Seite standen, verhüllt von einigen Planen wohl mehrere Kartons, die ich unserem Umzug vor einigen Jahren zuschrieb. Ich wollte erst hineinsehen, aber besann mich darauf, dass dann die Notwendigkeit entstehen könnte darüber zu entscheiden was mit dem Inhalt zu tun wäre. ‚Manche Leichen lässt man lieber im Keller‘, dachte ich mir und wandte den Blick wieder auf die Seite mit dem Werkzeug.
© Lukas Stock 2025-05-28