4. Hypatias Sternenhimmel

Anna Theresa Schreiber

von Anna Theresa Schreiber

Story

Das erste Bild zeigte einen prachtvollen Sternenhimmel. Die Bildunterschrift lautete: „Sterne gucken in Alexandria, 390 n. Chr.“ Ich schrieb den Kommentar „Voll schön!“ unter das Bild, weil ich neugierig war, was dann passieren wĂŒrde. Hypatia antwortete wenige Sekunden spĂ€ter: „Die astronomische Interpretation folgt in meinem Live! Vorher muss ich aber noch etwas berechnen 
 die Schönheit der Mathematik ist soo faszinierend!“

Hilfe, an wen war ich denn da geraten? „Das hĂ€ttest du mir vor dem Mathe-Abi sagen mĂŒssen“, schrieb ich.

„Ja, ich war eine sehr beliebte Lehrerin. Ich habe die breite Öffentlichkeit mit meinen VortrĂ€gen auf dem Marktplatz gelehrt. Außerdem habe ich noch einige Studenten unterrichtet, besonders Begabte durften sogar meine Geheimlehren erfahren.“ „Wow – und das als Frau in der Antike?“, wunderte ich mich.

„Mein Student Synesios von Kyrene war sogar so begeistert von meinem Unterricht, dass er mir immer neue SchĂŒler vorbeigeschickt hat. Ihre Religion war mir egal. Ich habe Heiden, Christen und Juden unterrichtet. Hauptsache sie hatten Interesse an der Wissenschaft.“

„War das damals ein Problem?“

„FĂŒr mich nicht, fĂŒr viele meiner Zeitgenossen leider schon. Wahnsinnige religiöse Konflikte gab es damals! Aber das war nicht mein einziges Problem.“ „Was noch?“

„LĂ€stige Verehrer und Stalker. Hier ein Lifehack: Spiel ihm stundenlang etwas Eintöniges auf einem Musikinstrument vor. Hilft das nicht, zeig ihm ein rotes Tuch. Mit deinem Menstruationsblut.“

„Igitt! Schreib bitte vorher eine Triggerwarnung, das ist doch echt cringe 
“

„Wieso denn? Das ist doch etwas völlig NatĂŒrliches. Da begehren sie die Lust und die körperliche Schönheit, aber ohne sich fĂŒr den dazugehörigen Geist und den Intellekt zu interessieren. Doch wenn sie dann wirklich damit konfrontiert werden, was alles zum weiblichen Körper gehört, sind der ganze Zauber und die Leidenschaft oft schnell vorbei. Der lĂ€stige Verehrer jedenfalls kam endlich zur Vernunft und ließ mich in Ruhe.“ „Und die ließen dich damals frei herumlaufen?“

„Ich hatte sogar Kontakte zur Regierung und setzte mich fĂŒr politische Angelegenheiten und das Gemeinwohl ein. Ich wollte die theoretische mit der praktischen Philosophie verbinden. Als einer meiner UnterstĂŒtzer starb und sein Neffe an die Macht wollte, entstanden verheerende GerĂŒchte ĂŒber meine Rolle als politische Beraterin. Die Gewalt eskalierte und ich wurde von einem Mob wĂŒtender Mönche brutal ermordet.“

„Wieso?!“ „Vielleicht war es ein politischer Auftragsmord, vielleicht die gewalttĂ€tige Stimmung jener Zeit, vielleicht auch der religiöse Konflikt. Das ist bis heute nicht geklĂ€rt. Wer sich in der Öffentlichkeit fĂŒr Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzt, lebt eben gefĂ€hrlich. Heute wie damals. Aber wichtig ist, was ich zu Lebzeiten geschafft habe. Ich war eine Universalgelehrte, die ihr Wissen an viele Menschen weitergegeben hat. Und sieh, ich bin noch immer nicht vergessen.“

© Anna Theresa Schreiber 2022-04-12

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