4. Kapitel

Niklas Becker

von Niklas Becker

Story

Überall liegen aufgeschlagene Zeitungen, Bücher, Magazine herum. In seiner Kindheit las Ernst so viel, wie er konnte, doch gute Lektüre ist teuer. Nun, da er über das nötige Kleingeld verfügt, kann er dieser Leidenschaft nachgehen. Während sich die Bücher von antiker Klassik über Renaissance bis hin zur deutschen Aufklärung erstrecken, durchsetzt von den großen Namen der Philosophiegeschichte, befassen sich die Magazine und Zeitungen mit Wirtschaft und Technologie der Zeit. Dieses stetige Nacheinander früherer Tage, als die Wirkung noch auf die Ursache folgte, als Rauch noch Flammen bedeutete. Heute sind wir bei einem geschäftigen Nebeneinander angelangt, jeder für sich, dauerhaft um die Übervorteilung des anderen bemüht. Jede Tat kommt naturgemäß zu spät, weil sie die Taten der anderen, die Ursachen nicht kennt – oder sind es Folgen? Auch das ist unklar. Man soll aus dem brennenden Haus ableiten, welche der 200 entflammten Kerzen umgekippt ist. Bevor man es weiß, brennt schon das nächste Haus, und der Rauch versperrt einem die Sicht. Ernst will den Schleier lüften. Und er weiß, dass er dafür zum Akteur des Geschehens werden muss. Er darf nicht mehr nur reagieren auf das Treiben der anderen; er muss es sein, auf den man reagiert, mit dem man rechnen muss, und dessen Handlungen sich dennoch gleich Naturgewalten den Anschein der Unvermeidbarkeit geben. Er muss wissen, alles wissen, um zu tun, was er tun muss. Er schaut sich nach den neusten Technologien auf dem Gebiet der Holzverarbeitung um, allerdings liegt sein Hauptaugenmerk derzeit auf kostengünstiger Gerätschaft zur Abholzung von Waldgebieten. Während Ernst die Produkte seiner engeren Auswahl mit einem Stift markiert, wird er von einem leisen Knittern aus seinen konspirativen Gedanken gerissen. Er schaut zur Türe seines Büros. Ein Umschlag wurde unter ihr hindurchgeschoben. Ernst steht zögerlich auf, geht zur Türe, hebt den Umschlag auf, dessen Rückseite die Buchstaben „Herr R.“ zieren, und öffnet ihn. Langsam schlendert er, die Papiere studierend, zurück zum Schreibtisch, legt die Zettel nieder und stützt sich mit beiden Händen auf ihm ab. Er blickt auf, erst zur Uhr, 19:53, dann aus dem Fenster. In der Abendsonne erhellt ein breites Grinsen sein Gesicht. „Zwei Gläser Ihres feinsten Weines, wenn’s beliebt. Nun denn, Herr Riemann, haben Sie mein Angebot durchdacht?“. Es ist 20:30 Uhr, der etwas dickliche Riemann, tupft sich mit der Serviette den Schweiß von der Stirn, der sich auf dem Weg zum Restaurant in seinen Falten zur Ruhe setzte. „Welches Angebot denn, Herr Schliermann?“ – „Zur Freigabe neuer Forstgebiete.“ – „Das kann ich alleine nicht entscheiden, doch ich werde Ihr Anliegen selbstverständlich weiterleiten.“. Der Kellner serviert. „Lassen Sie es sich schmecken! Haben sie schonmal so gut gegessen, solch feinen Wein getrunken, Herr Riemann?“ – „Nein, Herr-“ – „Das dachte ich mir. Ihrer Frau würde er sicherlich gut schmecken. Vielleicht möchten Sie häufiger hier speisen?“ – Riemann senkt die Stimme – „Bestechen Sie mich? Für so ein olles Stück Wald? Was versprechen Sie sich? Die Nachfrage sink-“ – „Nicht mehr lange. Lassen Sie das Mal meine Sorge sein. Kümmern Sie sich, dann erzähle ich Ihrer Frau nicht, dass Sie mit dem Geld viel lieber Ihre Sekretärin ausführen würden.“ – „Was erlauben Sie- “ – „Ruhe! Sie kriegen kein Geld. Aber sie behalten Ihre Ehe.“. Ernst erhebt sich, zahlt und lässt einen verdutzen Herr Riemann zurück.

© Niklas Becker 2024-09-05

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel