4. Schwarz und Weiß

»Warum sind die Spiegelbilder eigentlich in den Formen eines Dämons und eines Dunklen Engels?«
»Dämonen spiegeln Bosheit wider und Dunkle Engel symbolisieren Irrealität. Die Menschen sollen damit konfrontiert werden, Eva.«, erklärte sie und sah dem Mädchen in die violetten Augen.
Dieses überlegte gründlich. »Wird man diese Spiegelbilder auch wieder los?«
»Nur, wenn man es schafft, sich gegen sie aufzulehnen. Die Angst, welche sie mit ihrer bloßen Präsenz im Menschen auslösen, muss man überwinden.«
»Dann wird man sie los?«
»Nicht direkt. Und du weißt nichts über Schwarze Seen …«
»Nein.«
Während das Mädchen sie neugierig mit violetten Augen musterte, suchte sie nach den richtigen Worten: »Auf Seen, bestehend aus dickflüssigem Schwarz und zu finden in einem Nichts aus Weiß, können keine gewöhnlichen Engel oder Dämonen laufen, aber Menschen; Menschen und ihre Spiegelbilder. Man muss jedoch eines dazu bringen, mit sich im Schwarzen See zu versinken – und dieses ist der Dunkle Engel. Der Dämon wird versuchen, den Menschen aufzuhalten, doch man muss den Dunklen Engel mit sich reißen und auf den Grund des Sees ziehen.«
»Man ertränkt sich selbst? Mit dem Spiegelbild? Und was ist dort?«
»Vergebung. Realisation.«
Die violetten Augen blickten sie fragend an. »Wie–«
Sie lächelte entschuldigend. »Worte können es nicht beschreiben und der Verstand nicht einfach verstehen. Tut mir leid, Eva.«
Doch das Mädchen lachte. »Das ist bestimmt auch besser so! Ich will mich nicht auch mit Spiegelbildern rumschlagen müssen. Sind sie dann für immer verschwunden?«
»Miteinander verschmolzen. Weiße Haare, ein Auge leuchtend rot, schwarze Flügel. Sie verschwinden nicht ganz, man bekommt sie nur nicht mehr zu Gesicht und sie treiben den Menschen nicht mehr in den Wahnsinn. Stattdessen werden sie von diesem Wahn überfallen und sind für immer gefangen in dem weißen Nichts auf dem Schwarzen See.«
»… Und wie kommt der Mensch von dort weg? Oder dort hin?«
»Man erreicht den Ort, wenn man mit dem Entschluss, sie loszuwerden, dem Dunklen Engel in die Augen sieht und dessen Blick standhält. Augenblicklich findet man sich in dem Nichts auf dem See wieder. Um von dort zu entkommen, muss man dem nun verschmolzenen Spiegelbild in die wahnsinnig gewordenen Augen sehen und den Entschluss noch immer beibehalten. Schon findet man sich in der Realität wieder.«
»In der Realität? War man in der … Irrealität? Ist das ein Ort?«
»Manche nennen es Tod, manche Unterbewusstsein, andere einfach Nichts. Irrealität ist einer von vielen Begriffen, aber ist das auch ein Ort? Am Ende ist die Irrealität nichts weiter als das Gegenstück zur Realität.«