5. Alles egal in Dresden

Anne Pollenleben

von Anne Pollenleben

Story

„Mir ist alles so egal.“ Ich mag es nicht, wenn Menschen diesen Satz als Grundhaltung einnehmen und ihn als Coolness Statussymbol nutzen, um einen perfekten, edgy Schleier um die eigentliche, aber noch nicht gefundene, Persönlichkeit zu wickeln. Seht her, ich habe Kanten und bin so cool, dass sich die Kanten in meinen eigenen Gefilden, zusammen mit Menschen, die das auch so ausleben, wieder rund lutschen. Das geht sogar so weit, dass vom gleichen Lolli geleckt wird. Ekelhaft.

Aus Coolness diese Haltung einzunehmen, ist für alle, die gern diese empfundene Blockade loswerden wollen, weil sie krank sind (Hello, good old friend depression), ein extra Grund, um eingerollt und an die Wand- nein, aus dem Fenster starrend liegen zu bleiben. In den eigenen vier Wänden ist man sicher, vor allem jene, die sich mit dem Romantisieren von Arroganz und Egoismus profilieren. Wenn einem alles so egal ist, verschwindet der Fokus auf Werte nach außen, neigt sich nach innen, weil das alleinig übrig bleibt.

Ich mag diese Menschen nicht und gleichzeitig bin ich neidisch. So schnell, wie ich hier urteile, würde ich gern meine Verurteilung mir selbst gegenüber einstellen. Dann wäre ich vielleicht auch ein bisschen cooler und würde mich trauen Hüfthosen so zu tragen, dass man meine Unterhose sieht und meine Augen schwarz schminken. Ich muss mir eingestehen, dass ich keine 15 Jahre alt mehr bin und ich den Blazer zu sehr liebe, um ihn gegen eine XXL Herrenjacke einzutauschen. Mir ist eben nicht egal, wie meine Außenwirkung ist und ich möchte gern als die gesehen werden, die ich bin. Dabei ist das ein unmögliches Ziel.

Egalität macht mich wütend. Doch diese Emotion reguliert sich von allein, wenn ich einen Opa sehe, wie er ganz geschmeidig seine Arme und Hände bewegt, als gäbe es keine Eile auf dieser Welt. Meine Wege in Dresden führten mich weder an Menschen vorbei, denen vieles wichtig ist, vielmehr begegnete ich vor allem in den letzten drei Jahren jenen, die es nicht wagen, ihren eigenen Unmut auf sich selbst zu richten, stattdessen Schuldige für ihr eigenes Versagen und Misserfolg suchten. Ich sah zu, wie Kinder beschimpft wurden, Kinderwägen neben saufenden und rauchenden Müttern standen und Hunde geschlagen wurden, weil sie nach drei Stunden an der Kette angefangen haben, zu bellen. Ich hatte Mitleid, obwohl das keine geeignete Gefühlslage ist. Denn neben meinem Mitgefühl, machte sich Unmut in mir breit, weil ich nicht verstehen konnte, wie sinnlos man das eigene Leben wegschmeißen kann. Manches sind Schicksalschläge, das bedauere ich. Doch manche dieser Menschen, die mich dort täglich mustern und anschauen, als wüssten sie alles besser, weil sie ‘sich nicht für den Staat nackig machen’, überreizen die Egalität mit einer Portion Nichtwollen auf Besserung. Ich dachte, ich wäre zynisch, aber deren Grundhaltung hat einen anderen Zynismus.

Jetzt wäre ich gern wieder 15 Jahre alt, mit der Erlaubnis, den Kopf auszuschalten.

© Anne Pollenleben 2022-04-06

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