5. Le Passé Amour Fou. Clara

Anne Pollenleben

von Anne Pollenleben

Story

Statt mich wieder von ihm besänftigen und gleichzeitig wütend machen zu lassen, schnellte ich von der Bank hoch. Auf zwei wackeligen Beinen stand ich vor ihm, ließ ihn nochmals zu lange in meine Augen blicken, bevor ich ohne weitere Worte davon lief. Die Polizei war in der Zwischenzeit verschwunden. Die Ruhe auf der Straße passte nicht zu meinem Innenleben. Mein Puls wurde mit jedem Schritt, mit jedem Bodenkontakt schneller. Ich spürte, wie sich die Kälte erst durch meine Hände fraß, bis sie sich im gesamten Oberkörper ausbreitete, während sich meine Beine wie frisch gekochter Pudding anfühlten. Hysterisch wühlte ich in meiner Jackentasche nach Kopfhörern, die sich wie von selbst zu einem Knäuel zusammengerauft haben, als wäre ihnen auch kalt. Dabei vergaß ich, dass ich noch eine Zigarette zwischen Zeige und Mittelfinger hielt und folglich nur noch mehr an meiner Gehirnleistung zweifelte. Ich war durch den Wind und wünschte mir gleichzeitig, selbst der Wind zu sein, der jedoch an dem damaligen Tag nicht da war. Bevor ich mich weiterhin mit meinen Zweifeln und angespannten Schultern beschäftigen konnte, wurden diese fest angepackt.

„Ich weiß, dass du mich sogar immer noch liebst. Es ist egal und ich werde nie egal für dich sein. Meine Hände auf deinen Schultern, meine Hände an deinem gesamten Körper. So muss das sein. Ach Clara, du hättest mich nie in dein schönes Gesicht schauen lassen sollen.“

Obwohl seine Worte so viel Härte hatten, drehte er mich ganz sanft um und nahm mein Gesicht in seine beiden Hände, während noch seine Zigarette am Qualmen war und mir Tränen in die Augen trieben. Ich versuchte, den Kopf zu senken, doch seine Kraft entzog mir die Kontrolle über meinen Körper. Vielleicht musste ich einsehen, dass, egal mit welchem scheinheiligen Selbstbewusstsein ich jemandem gegenübertrete, es wird am Ende immer nur ein Schauspiel sein, welches ich verliere. Es wird am Ende immer nur ein Kampf gegen mich selbst sein, nie ein Fallen- lassen. Nie ein Maske- Fallen, wie bei meinem besten Freund. Ich überließ Ali mich selbst, denn ich hatte keine Kraft mehr, an diesem Tag gegen ihn anzutreten. Ich war selbst daran Schuld, ich habe ihm Einblick gewähren lassen.

Während ich mich in Gefangenschaft von Ali sah, flogen meine Gedanken weg zu all den zukünftigen Stunden. Es war meine einfachste Methode, um für ein wenig Ablenkung in beklemmenden Situationen zu sorgen. Ich bastelte in Gedanken an einem Ort oder einer Zeit, die vielleicht niemals so stattfinden würde. Ich träumte mich weg und erfand Konversationen. Wie viel ich in meinen Träumen schon laut ausgesprochen habe! Ich hätte Menschen umarmt, Komplimente verteilt, hätte geschrien und laut geweint. Andere würden mich als die Clara sehen, die ich in Wirklichkeit bin. Aber wer will schon so ein Risiko eingehen? Puff, Traum geplatzt und immer noch hinter den Gittern von Ali und keinen Schritt vorwärts gekommen. Nur einen weiteren zurück.

© Anne Pollenleben 2021-11-01

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