5. Spanisch für Anfänger

Irene Werren

von Irene Werren

Story

Heute war es soweit. Mit der Ruta 14, dem kleinen Bus, fuhr ich nun täglich in meine Sprachschule. Ana Maria begleitete mich in der ersten Woche, erklärte mir, dass ich überall, wo ich stand, die Ruta durch ein Handzeichen anhalten konnte. Zum Glück musste ich nicht umsteigen während der halbstündigen Fahrt.

Die Schule war, von außen betrachtet, ein unauffälliges, weißes Gebäude. Im Innenhof hatte es einen Swimmingpool, umgeben von einer großen, unebenen Rasenfläche. Stühle gruppierten sich um runde Tische unter einem Sonnenschirm. Daneben stand eine Schiefertafel. Das war alles. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig es eigentlich braucht, um Wissen zu vermitteln. Es kamen viele junge Leute aus aller Welt, die sich der Herausforderung stellten, Spanisch zu lernen. Die Schule war lebendig wie ein summendes Bienenhaus. Täglich kamen neue Leute dazu. Ich war jetzt auch eine Studentin, eine von ihnen.

Morgens besuchte ich mit deutschsprachigen jungen Leuten den gebuchten Sprachkurs. Wir wurden in Gruppen bis zu fünf Personen eingeteilt. Niveau Anfänger. Der Unterricht fand draußen im Garten bei angenehmen Temperaturen statt. Die Lehrer wechselten wöchentlich von einer Gruppe zur nächsten. Antoño, unser Lehrer für diese Woche, war ein rundlicher Mann mit freundlichen, humorvollen Augen. Ich lernte, mich in einfachen Sätzen vorzustellen: „Me llamo Irene y soy de Suiza“. Immer, wenn mir Antoño eine Frage stellte, die ich nicht verstand, reagierte ich mit: „Cosa?“ -„Was?“ Dies war meine typische Antwort im Italienischen, wenn ich nicht aufmerksam zuhörte. Auf Spanisch müsste ich mit „¿Que?“ antworten, aber ich war in diesem Automatismus so gefangen, dass Antoño mich nur noch scherzhaft „la cosita“ nannte.

Wir lernten schnell und viel. Ich bekam unzählige Verben zur Konjugation aufgebrummt. Wir übten sie in der Gegenwart, in Vergangenheits- und Zukunftsformen. Der arme Porfirio musste mich jeden Abend Verben abfragen. Er hätte doch lieber Fußball gespielt.

Zweimal in der Woche am Abend fand ein Intercambio, ein Austausch, statt mit mexikanischen Studenten und Studentinnen. Wir sprachen eine Stunde in Englisch und eine Stunde in Spanisch. Die Gruppe wurde jedes Mal spontan gebildet.

Eines Abends saß ich mit drei stark geschminkten, attraktiven Mexikanerinnen zusammen. Ich hingegen war blass, trug Jeans und T-Shirt. Wir saßen und schwiegen, fanden kein Thema. Die Zeit tröpfelte vor sich hin. Ich hielt Spannungen schlecht aus und erzählte deshalb von der heutigen Grammatikstunde. Mit dem Verb „coser“ für Nähen, wollte ich folgendes veranschaulichen: „Als ich nach Hause kam, war meine Mutter am Nähen.“ Leider sagte ich statt „coser” das Verb „coger”, nehmen, das auch nehmen im sexuellen Sinn meinte. Nach meinem Satz herrschte erstmals Stille, dann brachen die Mädchen in schallendes Gelächter aus. Das Eis war gebrochen. Es wurde ein lustiger Abend, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist.

© Irene Werren 2022-11-12