von Friedeborg Seitz
Im Senioren-Wohnzentrum von Abenheim bekomme ich unweit von meiner Pension meinen Pilgerstempel. Dort gibt es einen offiziellen „Jakobsweg im Wonnegau-Stempel“ sowie einen kleinen Faltpass, der Platz für sechs weitere Stempel bietet. Den kann ich das nächste Mal mit in den Pilgerpass legen, um die übrigen Stempel unterzubringen, falls nötig. Nun geht es bergan den Klausenberg hoch zur St.-Michaels-Kapelle. Hier führt auch der „Rheinhessische Jakobsweg“ entlang. Ein schmaler Pfad leitet mich hinauf an Steinstelen vorbei mit Szenen des Kreuzweges von Jesus. Als ich oben ankomme, sehe ich an der Kapelle eine blaue Jakobsweg-Kachel und links hinter der Kapelle eine Kreuzigungsgruppe aus Sandstein. Jetzt weiß ich, wo ich den kleinen blauen Stein von gestern ablegen werde. „Maddin, was meinst Du?“, frage ich, als ich ihn, aus meiner Hosentasche fummle und ihm – unserer Tradition folgend – den Stein in die Hände lege. Er findet, dass es eine gute Wahl sei und platziert den Stein mittig unter einem Knochen am Fuße des Kreuzes. Im Sonnenschein laufe ich auf dem Skulpturen-Pfad, auf dem ich verschiedene Exponate entdecken kann. Am besten gefällt mir die „Wonnefrau“, eine kleine nackte Dame aus Bronze, die auf einem großen Pfahl sitzt. Sie sieht aus, als ob sie sich genüsslich in der Sonne räkelt. Das passt gut in die Szenerie, umgeben von Weinreben. „Die Wonnefrau im Wonnegau“, ein nettes Wortspiel, finde ich und gehe weiter. Auf dem Rheinterassenweg geht es in Richtung Schlosspark. Am Eingang zum Schlosspark finde ich eine weitere blaue Jakobsweg-Kachel auf einem von Moos bedeckten Wegstein. Im Schlosspark ist es ausgesprochen still. Keine Rasenmäher oder Gartengeräte sind zu hören. Neben der am Lutherweg befindlichen Pfarrkirche „St Peter“ finde ich eine Bank im Schatten für eine kleine Barfuß-Pause. Hier nehme ich ein zweites Frühstück ein. Maddin stelle ich währenddessen neben mir ab. Da flattert auf einmal ein Rotschwänzchen aufgeregt vor mir hin und her; anscheinend jagt es einem proteinreichen Insekt in Bodennähe hinterher. Es fliegt mir fast vor die Füße und scheint keine Angst zu haben. Ich verweile ein bisschen, bis der kleine Vogel wieder über die Dächer davon fliegt. Langsam winkt der Weg zum Abschied. Ich pflücke Maddin von der Bank und nähere mich allmählich auf geraden Fußgängerwegen der Wormser Innenstadt. Plötzlich rollt mir ein kleiner roter Apfel entgegen, der wohl jemanden aus der Einkaufstasche gefallen sein muss. Ich nehme ihn dankbar als Abschiedsgeschenk des Weges an. Der passt sogar farblich vortrefflich zu meinem roten Rucksack. Seltsam, als ich 2017 hier hinter dem Bahnhof den Weg begann, kam mir ein kleiner gelber Apfel entgegengerollt. Den hatte ich damals auch mitgenommen; es war das erste Geschenk, das mir der Weg bereitet hatte. Es gibt manchmal Zufälle, die vielleicht keine sind. Ich frage Maddin, was er von diesen Äpfeln hält. Er war ja 2017 auch dabei. Beide Äpfel, der von damals und der von heute, weisen keinerlei Schäden an der Oberfläche durch den Aufprall auf. Auch sehe ich niemanden in der Nähe, der fröhlich Äpfel in Richtung Wanderer kullern lässt. Maddin ist sich sicher, es muss ein Gruß vom Himmel sein. Der wird mir die Äpfel geschickt haben. Ich verbinde solche kleinen Äpfel mit vielen Wanderungen, die ich früher mit meinem Vater unternommen hatte und mir wird warm ums Herz, als ich ihn in den Rucksack verstaue.
© Friedeborg Seitz 2023-12-31