6. Ein Stück.

Kronfle Halaoui

von Kronfle Halaoui

Story

„Einsam?“, ich wiederhole ihre Worte und für einen Moment verspüre ich ein Ziehen in der Brust. Kalt. Ich laufe in das Badezimmer und hole mir ein größeres Handtuch aus dem Regal. ,,Doch nicht einsam?“, höre ich Lynn fragen. Ich schüttele den Kopf, steige über meine Kleider und setze mich wieder auf die Bank. Doch, denke ich. Einsam trifft es eigentlich ganz gut. Aber irgendwie auch nicht. Ich bin alleine, ja. Ich möchte Eigenständig sein. Verantwortung übernehmen. Meinen eigenen Raum haben. Meine Freunde sind mir auch nicht all zu weit und Kater. Ich schaue auf das Handtuch, das jetzt in Pipi getränkt ist. Ganz davon abgesehen, geht es mir gut. Ich meine, ich habe alles, was ich brauche. Ich bin nicht einsam. Einsam klingt so verbittert. So traurig. Das bist du auch, höre ich die Stimme sagen. Mir ist kalt. ,,Ich meine, höre ich Lynn sagen, ,,das ist ja auch voll normal, jeder fühlt sich mal so. Verstehst du?“.Ich schließe meine Augen und nicke, auch wenn sie es nicht sehen kann. Es war schöner zu Zweit. Einsam, denke ich wieder. Das ist es nicht. Sehnsucht, das vielleicht. Aber nicht, weil ich einsam bin. Man muss nicht einsam sein, um Sehnsucht zu haben, oder? Egal. Ich versuche das Thema zu wechseln. Das ist mir zu kompliziert. ,,Wie war eigentlich dein Tag?“, frage ich. ,,Ganz gut, so wie immer, eigentlich. Ich habe noch etwas an meiner Hausarbeit zu arbeiten, aber das wird schon, denke ich.“, Ich nicke einfach wieder und lass mich auf die Stillen ein. ,,Lilo? Brauchst du etwas? Kann ich dich irgendwie ablenken? Soll ich dich ablenken?“, Sie klingt besorgt. Das macht keinen Spaß. Ich schaue auf die Uhr. Schon halb sieben. Ich muss schon bald hoch, sonst warten sie noch auf mich.,,Lynn es ist alles gut, wirklich, ich hab alles, was ich brauche. Ich hab euch. Außerdem wartet eine bomben Lasagne auf mich und ich muss noch fertig duschen gehen und mich fertig machen.“ Ich stehe von der Bank auf und laufe ins Bad. ,Okay. Verstanden. Du willst nicht darüber reden. Grüß Emi von mir und Aron und Tim, einfach alle und lass Kater morgen früh erstmal aus dem Haus bevor er dir wieder in die Wohnung pinkelt“.Ich schalte das Wasser an und halte meine freie Hand darunter bis es schön warm ist.,,Ja ich hab´s heute vergessen, war spät dran. Bin Morgen aber daheim. Ich hab doch frei.“. Morgen werde ich lange schlafen, denke ich.,,Ach das hab ich total vergessen, hast du schon etwas vor?“,fragt Lynn. Noch bevor ich antworten kann spricht sie weiter, ,,Vergiss es, grüß alle und hab Spaß, verstanden? Und iss für mich mit, Tschau!“.Dann legt sie auf. Ich atme wieder tief ein. Alleine. Einsam. Sehnsucht. Ich steige in die Dusche und atme erleichtert aus als das Wasser auf meine Haut trifft. Schön warm. Kann man Sehnsucht nach etwas haben, das man niemals hatte? Ist das nicht die Definition von Sehnsucht? Etwas zu Vermissen heißt, etwas haben zu wollen das man kennt und verloren hat. Anders als Sehnsucht. Ich glaube, ich habe Sehnsucht. Ich habe alles, was ich brauche, aber da ist trotzdem etwas das fehlt. Du weißt, was es ist, höre ich die Stimme flüstern. Da ist es wieder, das Stechen. Linke Seite. Und das unangenehme Gefühl in meinem Hals. Das tut weh. Liebe. Das was Tim hat. Ich brauche das nicht, sage ich mit leiser Stimme. Und meine Worte hallen mir im Echo des Badezimmers entgegen. Lüge, höre ich die Stimme lauter werden. Eingeengt. So fühlt sich mein Hals an. Es stimmt,da ist etwas das fehlt. Ein Stück. Jetzt ist da ein Loch. Ich brauche nichts. Ein kleines Loch. Es weht kalter Wind hindurch. Mir ist kalt. Es ist mein Herz.

© Kronfle Halaoui 2024-08-22

Genres
Romane & Erzählungen