6. Neuanfang oder Stagnation

Nele Kruse

von Nele Kruse

Story

Mein geschätzter Gatte erzählt die Geschichte so, als hätte er mich nur diese drei Male spinnen lassen. Aber mal ehrlich, wer heiratet eine Frau wegen dieses Talents und lässt sie dann in Frieden? Ich schaffte es immerhin, ihn auf einmal im Monat herunterzuhandeln. Dafür musste ich dann aber eine Kammer füllen, die eher einem Kornspeicher glich.

Es war eine Woche nach unserer Hochzeit, als ich wieder auf einem Strohballen saß und wartend mit dem Fuß wippte. Früher wäre ich nervös gewesen, aber mittlerweile konnte ich nicht einmal mehr ängstlich sein. Klar war es möglich, dass Rumpelstilzchen nun kein Mitleid mehr mit mir haben würde. Es war auch möglich, dass seine Hilfe von vornherein auf drei Male beschränkt gewesen war. Die Feeischen hatten feste Regeln, die nur sie selbst kannten. Und doch hatte ich keine Angst mehr. Ich war jetzt mit dem Monster verheiratet und so sehr er es auch forderte, hatte mein Körper mittlerweile alle Angstreserven aufgebraucht. Diesmal blieb ich wach und so sprang ich auf, als Rumpelstilzchen die Kammer betrat. Er lächelte mich an und deutete eine Verbeugung an. „Von der Müllerstochter zur Königin. Glückwunsch, Eure Majestät.“

„Hier zählen nur Beileidsbekundungen“, lächelte ich zurück, obwohl die Situation wirklich nicht zum Lächeln war. „Danke übrigens für die Hilfe beim letzten Mal.“

„Wenn ich dich so sehe, weiß ich nicht, ob es eine Hilfe war. Feines Kleid und Krone hin oder her.“ Es war das erste Mal, dass ich Rumpelstilzchen völlig ernst erlebte. Selbst seine Grübchen waren nicht zu sehen.

Ich zuckte die Achseln. „So ist das Leben. Man kann sich nicht aussuchen, an welchen Tyrannen man zwangsverheiratet wird. Aber hey, immerhin bin ich jetzt Königin. Jetzt kann ich endlich vernünftig für deine Dienste bezahlen.“

Obwohl ich grinste, blieb er diesmal ernst, schüttelte sogar den Kopf. „Ich habe es dir schon gesagt, ich will deine Bezahlung nicht. Erst recht nicht, wenn es sein Reichtum ist. Wenn du wirklich etwas tun willst, dann bezahle deine Untertanen statt mich.“ Und da kamen die Grübchen wieder zum Vorschein wie die Sonne aus der Wolkendecke.

Jetzt war ich jedoch an der Reihe, die Stirn zu runzeln. „Er nimmt mich nicht ernst. Wie soll ich etwas verändern?“

Rumpelstilzchen kam einen Schritt näher, zog die Augenbrauen hoch. „Du denkst immer noch wie eine Müllerstochter. Weißt du, was Königinnen besonders macht?“ Ich konnte nur den Kopf schütteln. „Sie sind nicht alleine. Du brauchst Freunde bei Hofe. Der König mag nicht auf dich hören, aber er hört auf seine Berater. Freunde dich mit ihnen an, mit ihren Frauen, Mätressen. Es gibt mehr Wege ins Ohr eines Mannes als ihn frontal anzuschreien.“

Ich sah ihn einen langen Moment an. Seine Augen glänzten wach und ehrlich und so absolut menschlich, dass ich vergessen wollte, was er war. Er hatte recht. Aber ich konnte ihm nicht glauben. Traute mich nicht. Vielleicht hatte er meine Gedanken gelesen, denn er zuckte die Achseln. „Dann mal an die Arbeit.“

© Nele Kruse 2023-01-22

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