von Doris Friedrich
Mein nächster Versuch, zur Omi durchzudringen, war ein persönlicher Besuch im Heim, was sich nicht ganz so einfach gestaltete aufgrund der strikten Besuchsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie. Aber ich hatte ja einen Termin, also sollte ich als einziger erlaubter Besuch ungestört mit der Omi reden können. Als ich ankam, saß die liebe Gerti bereits vor der Eingangstür, mit einem überlegenen Blick aufs Handy starrend und einer Zigarette in der Hand. Ich ging geradewegs an ihr vorbei, denn ich hatte ja einen Termin. Sie beachtete mich ebenso wenig.
Bei der Besucher-Anmeldung wurde ich informiert, dass die Gerti bereits meine Omi besucht hatte und jegliche weitere Besuche meiner Omi diese Woche gesperrt wären, Termin hin oder her. Die Heimleitung schien kein Verständnis für die Situation zu haben, dass ich als Enkelin trotz Besuchstermin nicht zu meiner Omi durfte, weil jemand, den wir erst seit 1,5 Jahren kannten, sich dazwischen geschoben hatte. Sie verwies nur immer wieder auf die Besuchsregeln, obwohl diese eigentlich einen Termin vorschrieben, und weigerte sich, mich vorbei zu lassen. Die hochkochende Stimmung und angeregte Unterhaltung schafften es nun doch, die Aufmerksamkeit der Gerti auf sich zu ziehen. Sie sei hergekommen, weil die Omi Angst vor mir habe und mich deshalb nicht alleine treffen wolle. Oh, die Ironie! Die Omi möchte mich nicht alleine sehen, deshalb kommt die Gerti her, damit ich sie gar nicht treffen kann.
Nach einem kurzen Streit argumentierte ich damit, dass ich der Omi ihre Sparbücher mitgebracht hätte, was alle Türen öffnete. Innerhalb weniger Minuten überzeugte Gerti die Heimleitung, die sich bis dahin strikt geweigert hatte, mich hinein zu lassen oder eine alternative Lösung zu finden, dass ich nun doch meinen Termin wahrnehmen konnte. Die darauf folgende Stunde war die reinste Hölle für mich. Ich wurde gleichzeitig von der Omi und der Gerti attackiert und unter Druck gesetzt. Zusätzlich zu den Vorwürfen und Beschimpfungen, die ich mir über meine Eltern anhören musste, wurde ich wie im Kreuzverhör befragt über alles Mögliche, von dem ich teilweise nicht den blassesten Schimmer hatte oder von meinen Eltern nur die allernötigsten Informationen erhalten hatte.
Ich verließ das Heim mit einem Sparbuch und 3000 Euro in bar weniger. Dafür hatte ich noch mehr Wut und Verzweiflung gesammelt. Würde ich meine Omi wirklich so verlieren? Wegen dem bisschen Geld auf den Sparbüchern, viel war es ja nicht, und durch Anstachelung einer Person, die wir zwar kaum kannten, die wir aber doch liebgewonnen und der wir vertraut hatten? War es tatsächlich so unmöglich, wie es gerade schien, in einem normalen, ruhigen Gespräch zu klären, was die Omi wollte und was das Beste für sie war? Noch war ich nicht bereit aufzugeben. Schließlich ging es um meinen letzten Großelternteil, um die Person, mit der ich in meiner Kindheit so viel Zeit verbrachte!
© Doris Friedrich 2021-08-15