7) Die Telefonnummer

dieschreiberei

von dieschreiberei

Story
Oberösterreich

Das Warten kann sich in die Länge, in die Höhe, in die Breite ziehen. Es kann zäh und kaum aushaltbar werden. „Ich muss das jetzt einfach machen“, flüstert Lill sich selbst zu und eilt aus der Wohnung. Im Flur vor der Haustür bleibt sie abrupt stehen. Ihre Seite ist weg. Ihre Worte konnten sie nicht festhalten. Die Stecknadeln wurden fein säuberlich wieder an ihren Stammplatz gesteckt. Sie dürfen warten, um anderen Zetteln Halt zu geben. Lill lässt den Kopf hängen, die Euphorie der letzten zwei Tage schwindet. Wer ist dieser Miesepeter oder diese Miesepeterin, die ihren Worten das Gehör verwehrt. Schnell wischt sie sich die Träne, die es geschafft hat zu fliehen, von der Wange. Mit einem lauten Knall wirft sie die massive Holztür ins Schloss. Draußen bröckelt ein wenig Putz ab und rieselt Lill auf den Kopf. „Jaja, kleine Sünden und so, ich weiß, ich weiß und trotzdem tut´s mir nicht leid“, mault Lill vor sich hin.

Langsam trottet sie die StraĂźe entlang, ihrer Motivation hinterher. Das Rad kann Lill wieder nicht nĂĽtzen, der Platten ist eine harte Nuss und muss geflickt werden. Und zum Knacken ist Lill absolut zu faul, nachdem er nach der ersten Versorgung erneut aufgegeben hat. Nach einer Stunde erreicht sie ihr Ziel. Auf dem Platz tummeln sich die Leute, die Sonne scheint und taucht die Stadt in Glitzer.

Als sie ihre Seite an dem Pfeiler hängen sieht, beginnt ihr Herz zu pochen. Die Hände werden schwitzig. Die Atmung gleicht einem hechelnden Hund. „Alles in Ordnung“, holt eine junge Frau sie in die Gegenwart zurĂĽck. „Was?“, fragt Lill verwirrt. „Du siehst aus, als wĂĽrdest du jede Sekunde umfallen“, sagt die besorgte Stimme. „Äh, also…also…nein…mir geht es gut, danke“, stottert Lill und lässt die junge Frau stehen. Die blickt ihr noch kurze Zeit hinterher, schĂĽttelt den Kopf und gesellt sich wieder zu ihren Freunden.

Lill wählt einen Platz in einem Café in der Nähe ihrer Worte. Nicht zu nahe, damit niemand Verdacht schöpfen kann. „Wie sollte jemand auf die Idee kommen, dass das deine Worte sind?“, fragt sie sich selbst. Lill bestellt eine Pedacola, lehnt sich zurück, zieht die Sonnenbrille über die Augen und linst unentwegt Richtung ihrer Seite.

Gefühlt Stunden später kommt die Kellnerin auf Lill zu. „Stimmt etwas mit der Limonade nicht?“, fragt sie. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie noch nicht einen Schluck genommen hat. „Nein, die schmeckt lecker“, nimmt Lill sie in die Hand und trinkt genussvoll. Dann verzieht sie das Gesicht. Das Pedacola ist zu einem Pedacola-Tee mutiert. Nicht nach Lills Geschmack. Die Kellnerin blickt Lill fragend an, dann meint sie: „Ich müsste jetzt kassieren.“ Lill greift wie selbstverständlich nach ihrem Rucksack, aber da ist keiner und somit auch keine Geldtasche. Hitze steigt ihr ins Gesicht.

Doch bevor sie etwas sagen kann, tritt ein Mann mittleren Alters auf Lill und die Kellnerin zu. „Hier bitte, der Rest ist Trinkgeld“, lächelt er verschwörerisch. Und noch ehe Lill aus ihrer Schockstarre erwacht, fährt er fort: „Ich hab´ genau gesehen, dass du die ganze Zeit in meine Richtung gesehen hast. Ich muss aber jetzt leider los, hier hast du auf jeden Fall meine Nummer.“ Und Lill fällt beinahe vom Stuhl.


© dieschreiberei 2023-06-08

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Hoffnungsvoll
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