7. Nach mir die Sintflut

Marica Tomiak

von Marica Tomiak

Story

Nina legte ihr Handy kopfschüttelnd zur Seite. Unglaublich, dass ausgerechnet Lisa Mode-Influencerin geworden ist. In der Schulzeit standen sie noch jeden Freitag zusammen auf dem Marktplatz und haben sich für eine bessere Klima- und Umweltpolitik eingesetzt. Für eine lebenswerte Zukunft, für eine Senkung der Treibhausgasemissionen, für mehr Artenvielfalt und gegen die Wegwerfgesellschaft. Doch dann kam Corona und plötzlich drehte sich alles nur noch um dieses eine Thema – in der Politik, in den Medien und in der Gesellschaft.

Dass die Pandemie durch die extreme Ausbeutung der Natur durch den Menschen, vorsichtig ausgedrückt, stark begünstigt wurde und sich solche Katastrophen in Zukunft häufen werden, wenn die Menschheit nicht endlich Verantwortung übernimmt, wurde in der Berichterstattung leider nur am Rande erwähnt. Und echte politische Konsequenzen, um die Ursachen dieser, aus Ninas Perspektive, größten gesellschaftlichen und politischen Herausforderung des 21. Jahrhunderts anzugehen, statt nur an den Symptomen herumzudoktern, gab es natürlich auch nicht.

Das hatte Nina sehr enttäuscht, auch wenn sie diese Reaktion seitens Politik und Gesellschaft nicht sehr überrascht hatte. „Nach mir die Sintflut“, diese Mentalität war doch schon vor der Pandemie bei den älteren Generationen verbreitet. Überrascht, ja empört, hatte sie das einbrechende Engagement der eigenen Generation. Je weiter sich die Pandemie in die Länge zog, desto weniger Interesse schienen ihre Klassenkamerad:innen daran zu haben, sich aktiv an der Bewältigung der Klimakrise zu beteiligen. Plötzlich stand nur noch das Ende des Lockdowns und die Rückkehr zu einem „normalen Leben“ im Vordergrund, Konsum und Auslandsreisen eingeschlossen. Das kam ihr wie Verrat vor.

Na klar hatte sie der Lockdown belastet. Natürlich war es auch für sie schwer, ihre Freund:innen so lange nicht persönlich zu treffen und dem Unterricht über einen Bildschirm zu folgen, insbesondere in einer so wichtigen Lebensphase, kurz vor dem Schulabschluss. Aber das war für Nina noch lange kein Grund, sich nicht mehr für Klima- und Umweltschutz zu engagieren. Diese Pandemie würde sicher vorübergehen, doch die nächsten Krisen kamen bestimmt und ihre Generation würde besonders viele davon miterleben, wenn alles einfach so weiterlief.

Doch offenbar war das vielen Klassenkamerad:innen und Angehörigen ihrer Peer Group nicht (mehr) so bewusst oder es war ihnen schlichtweg egal. Lisa machte Werbung für Fast Fashion auf Instagram, verdiente sich damit eine goldene Nase und zerstörte nebenbei mit ihrem unrealistischen Schönheitsideal den Rest Selbstwertgefühl, den ihre Follower:innen vielleicht noch hatten. Und Merle nahm nach Aufhebung der Reisebeschränkungen direkt den ersten Flieger nach Australien, um sich dort ihren Traum von einem Jahr Work and Travel zu erfüllen. Aber Nina machte da nicht mit. Sie würde weiterkämpfen.

© Marica Tomiak 2022-08-29

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