Ich öffne am 1. MĂ€rz die Augen, mache ein paar AtemĂŒbungen und strecke mich in alle Richtungen. Heute bin ich 70 Jahre alt. Wie fĂŒhle ich mich? Um Jahre jĂŒnger, Gott sei Dank. Ich höre meinen Mann bereits in der KĂŒche âwerkelnâ, hier ein GerĂ€usch, da ein Klappern des KĂŒhlschranks. Er macht heute das FrĂŒhstĂŒck fĂŒr das Geburtstagskind und ich denke mir: âSei dankbar, dass es dir so gut geht!â Einige Lebensstationen lasse ich Revue passieren. Matura, Studium, Ehefrau, begeisterte Lehrerin – ja, das Leben hat mir viele Facetten gezeigt und auch abgerungen, wunderbare Augenblicke durfte ich erleben, wie spannende Erlebnisse im Kindergarten Don Bosco, wunderbare Sommertage in Eisenerz und Birkfeld, das erste Fahrrad, die Freundschaft mit Stefan, Collegeaufenthalte in Oxford, die Tanzsessions in London im Licht der silbernen Discokugeln, Trips nach Irland und Schottland, den Studienabschluss, wunderbare Erfahrungen mit den SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern in fast 40 Jahren an einer Höheren Schule, unsere Verlobung und Hochzeit, viele schöne familiĂ€re AnlĂ€sse, berufliche Erfolge, der Abschluss der Hamburger Akademie fĂŒr Autorinnen, aber auch Tragisches, wie der Tod meiner Mutter, die berufliche Entsorgung nach jahrzehntelangem Engagement, die Beinamputation meiner Schwiegermutter, Corona, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Es gab kraftraubende SchicksalsschlĂ€ge und manchmal durchquerte ich das Tal des Schmerzes, um dann gestĂ€rkt aus diesen Erfahrungen wieder zu neuen Ufern aufzubrechen. Das gemeinsame Leben mit meinem Ehemann, im Mai 2022 sind wir 45 Jahre verheiratet, war eine aufregende Zeit.
Ich mache noch ein paar LockerungsĂŒbungen und bewege schlieĂlich meine Beine mit Schwung aus meinem gemĂŒtlichen Bett. Am Schluss kommt noch das Augenrollen und dann höre ich schon die aufgeregte Stimme meines Mannes: âFrĂŒhstĂŒck ist fertig!â
Ich hĂŒlle mich in den Morgenmantel und mache mich auf den Weg in die KĂŒche. Da entdecke ich einen liebevoll gedeckten FrĂŒhstĂŒckstisch mit allen Facetten, die ein Brunch mit sich bringt. Eine kleine Girlande hĂ€ngt ĂŒber dem Tisch und da baumelt der 70er. Rechts von meinem Stuhl hat mein Göttergatte seine Geschenke aufgebaut und ich packe sie neugierig aus. Die Inspirationskarten zum Schreiben finde ich besonders toll, aber auch seine GlĂŒckwunschkarte, die im Inneren ein Foto von mir als 26-jĂ€hrige junge Frau in einem Abendkleid zeigt. Wir essen, plaudern, nach einiger Zeit sehe ich mir auf dem Laptop die Zusammenstellung von den Operetten – und MusicalauffĂŒhrungen in Mörbisch an, da werden Erinnerungen wach.
Heute bin ich nicht fĂŒr den Haushalt zustĂ€ndig, auch das Mittagessen stemmt mein Mann. Um 17 Uhr kommt meine Freundin Erika vorbei und wir stoĂen auf meinen 70er an, wir kennen uns seit 60 Jahren und haben vieles erlebt. Wir schwelgen ein bisschen in Jugenderinnerungen und dann stelle ich fest: 70 Jahre und kein bisschen leise werde ich auch in Zukunft sein!
© Christine BĂŒttner 2022-03-02