von Alina Loch
Meine Gedanken wandern zu dir, wie du in deinen Krankenhauszimmer sitzt, allein, während die anderen und ich die Straße hinunterlaufen. Wir hatten Pläne geschmiedet dich abzuholen, mitzunehmen um für ein paar Stunden all den Scheiß zu vergessen, aber du hattest den Kopf geschüttelt, den Kopf geschüttelt und uns das Versprechen abgenommen es nicht dem Rest zu erzählen und ich frage mich wie viele Geheimnisse ich noch bewahren kann, bevor es mich zerreißt. Aber dir geht es schlechter, deine Welt zerfällt gerade, nicht meine, was für ein Recht habe ich mich zu beschweren, wenn es doch du bist dem es beschissen geht? Ich spüle die Schuldgefühle und Geheimnisse mit einem tiefen, brennenden Schluck aus der Flasche in meiner Hand hinunter. Dann setze ich ein Lächeln auf und reiche die Flasche Caja, die von nichts weiß, noch nicht… Sie grinst, nimmt einen Schluck, verschluckt sich lachend und spuckt prustend auf Gehweg.
„Alles gut?“, frage ich lachend. „Gott, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so früh so betrunken war!“, gesteht sie lachend und nimmt einen neuen, dann reicht sie mir die Flasche zurück. Und ich will es ihr sagen, mich in ihre lieben Worte fallen lassen, aber ich darf nicht, dass hast du doch gewollt, oder? Fuck ich bin so sauer, so unfassbar wütend, weil das alles so unfair ist, weil du es bist und auch wieder nicht, es ist deine Krankheit, aber es sind ihre Sorgen und meine…
„Alles gut?“, Mia legt mir den Arm um, lacht, aber ihre Augen wirken ernst. „Alles gut“, antworte ich mit einem breitem Grinsen und ich weiß, dass sie weiß, dass absolut nichts gut ist, denn so ist das mit Schwestern…
Als wir auf dem Campus ankommen ist das Fest schon im vollen Gange, dein Geheimnis ist in den Hintergrund gerückt irgendwo in die tiefste Ecke meiner Seele zu all den anderen und meine Welt dreht sich im gedämpften Licht des warmen Frühsommerabends und des Alkohols. Vor dem Gebäude sehe ich Jan und Chris in bunten Hawaiihemden und muss wirklich lächeln. Sie rennen auf uns zu und ich schließe Chris in die Arme. Lana hatte mich mal gefragt, wen ich von euch wählen, dich oder ihn. Ich hatte gesagt, dass es für mich nicht in Frage kam, sie hatte weitergebohrt und ohne zu zögern hatte ich Chris gesagt, denn er ist leicht, lustig, voller Licht, während deine Schatten auch nach mir greifen, während ich versuche meine loszuwerden. Chris mustert mich: „Alles in Ordnung?“ „Alles gut, lass uns feiern“, erwidere ich, nehme ihm sein Bier aus der Hand und kippe es herunter.
Stunden später fliege ich, fühle mich leicht, getragen von der Musik auf der Tanzfläche, lasse sie durch meinen Körper strömen, spüre den kühlen Sommerregen auf meiner Haut, verliere mich in den bunten Lichtern und meinem benebelten Kopf. Ich klammer mich an die Leichtigkeit, während Gewichte mein Inneres nach unten ziehen. Der Regen wird stärker und nimmt die einzelne Träne mit, die über meine Wange läuft.
© Alina Loch 2023-01-29