Die waren schon mal da, sagte die alte Else. Wir standen an ihrem Fenster und sahen dabei zu, wie ein Umzugswagen sein Inneres Stück für Stück in eines der leeren Häuser ausspie. Jeden Tag kamen mehr von ihnen. Man sah meist die Männer. Sie hatten Gesichter, als hätte man einen Knoten damit gemacht und streckten die Oberarme vom Körper weg. Viele hatten Glatzen. Alle hatten aufgezogene Oberkörper. Es waren aufgespannte Menschen, die nach Mooren zogen. Es waren mehr, als Mooren verdauen konnte.
Heimatverein, sagte die alte Else, atmete heftig aus und schüttelte sich. Das habe sie alles schon einmal gehört. Mit anderen Worten, aber gemeint sei doch immer dasselbe. Sie war so sehr in Aufruhr, wie das mit einem so alten Körper möglich war. Ihre Augen, die schon auf halbem Wege geschlossen gewesen waren, waren wieder groß und rund. Man hätte sie in ein Kindergesicht setzen können und es wäre einem nichts falsch vorgekommen.
Ein Nest machen die sich hier, sagte die alte Else. Ihre aufs Fensterbrett aufgestemmten Handgelenke zitterten. Sie hatten die Vögel zurückholen wollen und nun nisteten Aufziehmenschen in ihren Nestern.
Was war denn gemeint, fragte ich. Damals mit den anderen Worten und heute. Ich umfasste den alten Oberarm und half ihr zurück auf ihre Chaiselongue. Das lockere Fleisch fühlte sich wie ein leerer Kissenbezug an. Es war im Nachhinein ungerecht von mir, sie diese alten Gedanken heraufholen zu lassen. Es muss sich wie eine Magengrippe angefühlt haben. Und es roch bitter aus ihrem Mund, als sie sagte: Die einen wollen mehr wert sein als die anderen. Und ich dachte: Wenn das Moor etwas verschluckt hat, soll man es dortlassen.
Obwohl in immer mehr der verlassenen Häuser nun Menschen wohnten, wirkten sie trotzdem unbelebt, dachte ich später, als ich nach Hause ging. Als hätte man in einen toten Körper eine Hydraulik eingebaut, die ihn bewegt. Es rührte sich etwas, aber das Grundlegende blieb tot. Auf dem Kirchplatz gab es inzwischen eine kleine Bühne und neue Banner. Mooren wieder zur Heimat machen. Wir machen unser Dorf wieder rein. Wir lassen uns nicht manipulieren. Mooren ist frei. Der Käsewagen vom alten Ibrahim aus dem Nachbardorf kam schon mehrere Wochen nicht mehr.
Der Grinsemann war ins alte Pfarrhaus gezogen. In den Fenstern baumelten die Kristalle, die Beate inzwischen in ihrem Teeladen verkaufte. Gegen die Wellen in der Luft. Dazu gab es Flyer: Reinheit für Mooren. Der Briefkasten der alten Else quoll bereits von ihnen über. Ich brachte es nicht über mich, sie in ihr Haus zu tragen.
Mein Vater hatte zu Hause Mühe, die Wohnung gründlich genug zu putzen. Drei Zimmer, eine Küche, ein Bad und dazu der Schmutz, den er vom Feld mitbrachte. Ihm blieb nicht genug Zeit und ich konnte sehen, wie es ihn aufrieb. Es muss nicht alles so sauber sein, sagte ich an diesem Abend beim Essen. Ich sah seinen Rücken zucken. Sein Gesicht kippte zur Muschelnudelsuppe auf seinem Teller. Doch, sagte er dann, es muss. Es muss.
© Christina Maria Fischer 2022-04-12