#8 – Der Dementor im Faltenrock

Teresa Hofmann

von Teresa Hofmann

Story

Der Morgen ist noch früh, aber einige Wurmfänger*innen sind schon unterwegs; die einen taufrisch, die anderen, wie ich, alkoholgeschwängert. Ich stolpere die Treppenstufen zur U-Bahn hinunter, denn ein lauer Windhauch kündigt die Ankunft eines Zuges an; vielleicht ja die des meinigen. Die Aussicht auf ein baldiges Schläfchen im eigenen Bett spornt mich weiter an und ich hüpfe noch rechtzeitig zwischen den sich schließenden Türen hindurch. Kurz strauchle ich, aber die abschätzigen Blicke einer im Eingangsbereich stehenden Dame fangen mich auf – aber ihre Verachtung ist viel tiefer als das übliche „Die jungen-Leute-heutzutage-wissen-sich-einfach-nicht-zu-benehmen“-Getue und trifft mich mit Schmackes in der Magengrube.

Von eher zierlich-knochiger Statur trägt sie ihr kinnlanges, silber-graues Haar streng in der Mitte gescheitelt. Die ovalen Flaschenboden-Brillengläser sind in ein, gelinde formuliert, unmodernes beigefarbenes Kunststoffgestell gerahmt. Schwer ziehen die Mundwinkel nach unten und erinnern mit den vorgespannten Lippen im feinen Blass an ein Karpfenmaul. Ihre Haut ist so fahl als wären ihre Wangen noch nie vor Freude gerötet gewesen. Lachfalten suche ich vergebens – lediglich der hängende etwas zerknitterte Hautsack zwischen Kinn und Hals passt zum fortgeschrittenen Alter. Mit mehr Pastell als Farbe haben die zahlreichen Waschgänge der wohl letzten 25 Jahre die Bluse gezeichnet. Schrecklich bieder kommen die Falten des 7/8-Rockes daher.

Allein ihr Anblick saugt mir sämtlich gute Laune aus dem Körper, bis nur noch ein morgendliches Häufchen Elend von mir übrig ist; ein leibhaftiges Bermudadreieck jedweden Frohsinns. Mit ihrem gesamten Dasein, ihrer majorsmäßigen Haltung und den fahrigen Bewegungen verströmt sie ein derartiges Unbehagen, ja eine Grundgenervtheit, wie ich sie das letzte Mal bei meiner alten Handarbeitslehrerin aus der Grundschule, Frau Buchner, erlebt habe. Eingeschüchtert vom Schwall der negativen Schwingungen suche ich nach Fehlern bei mir und versuche mich so geräuscharm wie irgend möglich auf einen noch freien Sitzplatz zu schieben, nur um nicht in ihrer Nähe stehen zu müssen. Obwohl mich jedes Mal ihre offen zur Schau getragene Antisympathie aufs Neue überschwemmt, wandert mein Blick immer wieder zu ihr. Es ist die Faszination des Unbegreiflichen, des Fremdartigen.

Stramm positioniert sie sich vor den gleich auseinanderfahrenden Türen. Zwischen den mit Handschuhen überzogenen Fingern – wir haben Mitte Mai – hält sie ein Taschentuch, mit dem sie die Griffe berührt; und nur damit. Sie öffnet die Türe und dann ist sie fort. Was muss passiert sein, dass jemand eine solche Verachtung empfindet; für jeden Menschen, der es auch nur wagt, dieselbe Luft zu atmen. Was muss jemand erlebt haben, um zu einem wandelnden Mahnmal der Verbitterung zu mutieren? Ich glaube, ich möchte es nicht wissen.

© Teresa Hofmann 2022-08-31

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