8 Milliarden Wahrheiten und ein Weltuntergang

Knox

von Knox

Story

Heute ist er, der letzte Tag. Ich sitze auf meiner Pritsche und betrachte das Pin-up an meiner Zellenwand. Insgeheim wünsche ich mir, es würde sich dahinter ein versteckter Tunnel auftun, wie in die Verurteilten. Ist aber nicht so, selbst nachdem ich zum dreihundertsten Mal hinter dem Bild nachgeguckt habe. Ich würde gerne behaupten, ich wüsste nicht, wie ich hierhergekommen bin, aber das wäre schlichtweg gelogen. Ich gehöre hierher. Durch eigenes Tun, das Recht auf ein freies Leben verwirkt, so sagte man mir. Klingt vernünftig. Obwohl, nicht vernünftig aber klug. Als wenn sich jemand damit beschäftigt hätte, der auf einer dieser hübschen Unis war. Vielleicht sollte ich jetzt schimpfen, dass ich nie so eine Chance gehabt habe aber ehrlich gesagt, mir reichte der Anblick von hübschen Unis von außen, um zu entscheiden, dass ich nie eine davon von innen sehen würde. Die Dresche meines Lebens hab ich dafür kassiert, dass ich nicht lernen wollte. „So wird nie was aus dir!“, hab ich heute noch im Ohr. Tze, scheint ja richtig was gebracht zu haben. Wenigstens kann ich die Uhr lesen. Da werden die mir nichts vormachen können. Wenn der Henker nicht auf die Sekunde genau den Schalter drückt! Ich hab hier schon ein Blanko bereitliegen für den Kummerkasten. Denen werde ich einen gepfiffenen Brief schreiben. Ha! Grinsend zieh ich an meiner Zigarette.
Der Geschmack der Freiheit. Ich finde, Freiheit schmeckt wirklich ein bisschen so. Irgendwie kratzig und stinkig. Alles, was ich von Leuten aus der Freiheit erfahren habe, ist ein verdammtes Affentheater. Die ganze Welt liegt einem zu Füßen aber nur wenn man Geld hat. Fast wie hier drinnen. Der Unterschied ist nicht wirklich groß. Hab letztens aufm Hof noch gehört, dass sitzen fast gefährlicher ist als rauchen. Da draußen zwingen sie dich acht Stunden zu sitzen, hier drinnen wirst du daran erinnert auch mal rauszugehen und dich zu bewegen. Ist doch witzig, oder?
Wenn ich mir irgendwo in Freiheit die Lichter ausknipsen würde, wäre da niemand. Hier bekomme ich Zeugen und mein Lieblingsessen davor für lau. Ich darf sogar noch etwas sagen. Egal was. Die Leute müssens hinnehmen, zumindest mit der Garantie, dass ich das letzte Mal was gesagt habe. Ich weiß gar nicht, ob ich irgendwas sagen will. Wenn die Leute darauf vorbereitet sind, wo bleibt da der Spaß. Vielleicht fällt mir ja noch was ein bevor sie mich auf der Pritsche festschnallen. ‚Ja, beeil dich, du hinterwäldlerischer Bastard! Ich könnte zehn Männer umbringen, während du herumtrödelst!‘, soll mal einer gesagt haben. Ziemlich beeindruckend aber bleibt nicht hängen im Gedächtnis. Ich bräuchte so was wie ‚I have a dream.‘ oder ‚Ich bin ein Berliner.‘ Das dürfte zumindest für einige Verwirrung sorgen.
Ich lache und höre ein paar Mauerseglern zu, die mit ihrem Kreischen die Dämmerung begrüßen. Die Stille hier ist schlimmer als jedes Gefängnis, das ich kenne. Auch die Freundlichkeit der Wärter ist komplett verwirrend. Das Einzige, was man sonst von denen zu spüren bekommt, ist das Gummi von ihren Knüppeln. Jetzt sind sie alle scheiß nett, bloß weil ich sterbe. Ich will ja nicht klugscheißen aber wir gehen alle sowieso drauf, früher oder später. Ist doch lächerlich… „William Knight, treten Sie bitte vor an die Linie.“ Mein Herz steckt in meinem Hals. Ich blicke zu den Mauerseglern. Sie sind still. Plötzlich bebt die Erde. Ein gleißendes Licht bricht durch die Zellenwand.

© Knox 2025-01-22

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Reflektierend