8 Rot

Jana Scheible-Khedekar

von Jana Scheible-Khedekar

Story

Vorsichtig stecke ich den Schlüssel in das Schlüsselloch und drehe das Schloss langsam nach rechts. Das Schloss springt verheißungsvoll auf und ich drücke die Türklinke nach unten. Mit meinem Körpergewicht lehne ich mich leicht gegen die Tür und trete aufmerksam in mein Hotelzimmer ein. Ich schalte das Licht an und lasse meinen Blick über die ordentlich gemachten Bettlaken zu den schweren Vorhängen schweifen, die den Blick auf den Nachthimmel verdecken. Das ganze Zimmer ist in einem satten Dunkelrot gestaltet. Erst jetzt fällt mir das so richtig auf. Die roten Bettlaken, die Vorhänge und der Teppichboden wirken auf mich wie eine warme, schummrige Höhle, die mich umarmt und festhält, wie als Baby die Gebärmutter. Ich wundere mich über diese Farbgestaltung. Wer gestaltet ein ganzes Zimmer in einem so kräftigen Rot?

Ich lege meinen Rucksack auf dem Bett ab, schließe die Türe hinter mir und gehe auf die Vorhänge zu. In mir entsteht ein intensiver Drang, auf die Straße rauszuschauen und den Nachthimmel zu sehen. Wie um mich zu versichern, dass sich der Standort und der Ausblick nicht verändert haben. Die Straße ist ruhig, es sind kaum Menschen zu sehen und am Himmel drehen ein paar Möwen ihre Kreise. Ich bin erleichtert zu sehen, dass alles beim Alten ist. Dennoch fühlt sich etwas anders an. Ich kann es nicht ganz begreifen. Es ist so, als ob sich mein Hotelzimmer von der restlichen Welt losgelöst hat, als ob eine hauchdünne Membran mein Zimmer umschließt und sie damit von der Außenwelt abschneidet. Mir wird ganz heiß und die rot leuchtenden Wände treiben mir Schweißperlen auf die Stirn.

Ich versuche, mich zu beruhigen, indem ich tief durchatme. Um mich abzukühlen, trete ich vom Fenster zurück und gehe links ins Badezimmer hinein. Ich knipse das Licht an und beim Anblick der Kacheln bekomme ich einen Riesenschreck. Ein neonfarbiges Korallrot schreit mich laut an und schnürt mir die Kehle zu. „Ganz ruhig“, sage ich zu mir, um mich zu beruhigen. „Das ist nur eine Fliesenfarbe. Das hat nichts zu bedeuten.“ Die Botschaft kommt nur so halb bei mir an, mein Gehirn ist immer noch im Deutungswahn gefangen.

Mein Blick sucht nach einem Anker zum Fixieren und bleibt an einer weißen Schnur an der Duschwand kleben. Von der Decke hängt dort eine weiße Kordel, hinter der ein Schild mit der Aufschrift „Im Notfall ziehen“ hängt. Ich hatte die Schnur auch die letzten Tage schon gesehen und mir nicht viel dabei gedacht. Aber jetzt erschien sie mir auf einmal so fehl am Platz und zugleich bedeutungsvoll. Gab es vielleicht einen Grund, warum hier eine Notfallschnur angebracht ist? In meinem Zimmer? Oder dass ich genau in einem Zimmer gelandet bin mit so einem Warnmeldesystem? War sie extra für mich bestimmt, weil mir gleich ein Unheil drohen würde?

© Jana Scheible-Khedekar 2022-08-31