von Sabine Knauf
Ein muskulöser Mann mit Glatze setzte sich zu mir an den Tisch. Durch sein weißes Hemd konnte ich die Konturen mehrerer Tattoos erkennen. In seinem Gesicht glänzten einige Piercings, die ihn unnahbar wirken ließen. Bevor ich überhaupt die Möglichkeit hatte, mich vorzustellen, eröffnete er das Gespräch. „Hey, mein Name ist Johann. Darf ich fragen, was zwischen dir und dem anderen Kerl vorgefallen ist? Falls dir die Frage zu nahe geht, reicht mir für den Anfang auch einfach dein Name.“ Ich seufzte leise. Es war mir gar nicht bewusst gewesen, wie viele Leute meinen Streit mit Aaron mitbekommen hatten. Peinlich berührt lächelte ich und erklärte Johann kurz die Situation. Dann fügte ich hinzu: „Falls du meinen Namen trotzdem wissen willst, verrate ich ihn dir. Ich heiße Rieke.“ Johann grinste von einem Ohr zum anderen – und ich musste zugeben, für solch ein Lächeln hätte er eigentlich einen Waffenschein gebraucht. Da ich mich auf ihn einlassen wollte, gab ich mein Bestes, das Gespräch in eine lockere Richtung zu lenken. „Sorry für meinen Aufstand. Ich wollte hier echt kein Drama veranstalten.“ Zu meiner Überraschung lachte er laut auf. Mit so einer verständnisvollen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. „Alles gut, mich hast du ja nicht zur Sau gemacht. Außerdem hast du jedes Recht, stinkig zu sein. Mir würde es nicht anders gehen, wenn meine Freundin und mein bester Kumpel miteinander gevögelt hätten.“ Er lehnte sich entspannt zurück. „Ach ja, ich bin übrigens Barkeeper. Deshalb bin ich einiges gewohnt – glaub mir, ich habe schon die verrücktesten Storys gehört. Manche meiner Gäste verwechseln mich mit ihrem Therapeuten. Deine Geschichte? Die ist harmlos. Einmal ist eine Frau mit einem Zahnstocher auf ihren Freund losgegangen – nur weil er meine Kollegin hinter der Bar nach einem Drink gefragt hat. Wie gesagt, es geht weitaus schlimmer.“ Ich musste lachen. „Das glaube ich sofort. Mein Abend hatte auch schon einige Highlights, bei denen ich dachte, schlimmer geht’s nicht. Aber irgendwie haben sich alle Kandidaten gegenseitig übertroffen.“ Johann lachte mit. Wir unterhielten uns über den bisherigen Abend, und er erzählte mir einige Anekdoten aus seiner Bar. Manche davon hätte das Trash-TV nicht besser inszenieren können. Da mir das Gespräch mit ihm Spaß machte, erzählte ich ihm von meinem Beruf als Floristin – und natürlich hatte auch ich meine skurrilen Erlebnisse. Ich berichtete ihm von der Oma, die einen fünf-Euro-Blumenstock in Centstücken bezahlte. Oder von dem jungen Mann, der eine einzelne Schnittblume mit einem Fünfzig-Euro-Schein bezahlen wollte. Da ich kurz nach der Eröffnung meines Ladens noch nicht wechseln konnte, bat ich ihn höflich, mit passendem Geld wiederzukommen. Er ging – und war nie wieder gesehen. Gleichermaßen begannen Johann und ich über unsere Erfahrungen zu lachen. Plötzlich ertönte der Signalton, und ich zuckte erschrocken zusammen. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Ich gestand mir ein: Johann war ein sympathischer Mann. Ein weiteres Treffen mit ihm konnte ich mir durchaus vorstellen.
© Sabine Knauf 2025-07-02