von Günter Hagmann
Es folgen sehr turbulente Jahre: im Herbst 1962 suche ich mir einen neuen Posten! Über ein Zeitungsinserat melde ich mich bei einer mir völlig unbekannten Firma im 5. Bezirk und werde prompt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zuerst nimmt mich der Personalchef unter die Lupe, dann gehen wir zum “großen” Finanzchef, einem sehr ernsten, etwas mürrischen, älteren Herrn namens Dr. Peschka. Ungeniert fragt er den Personalchef vor mir, “…was will er?”und meint damit, nach welchem Gehalt ich gefragt hatte. Gefragt hatte ich nach einem Monatssalär von 2400 Schilling. “Wir zahlen das Gehalt vierzehneinhalb Mal, daher 2300 Schilling!” Ich stimmte zu und war engagiert.
Die Firma verkaufte Suppen, Soßen, Würze und andere Mahlzeitenbestandteile an die Gastronomie. Sie hatte einen Vertreterstab von etwa 15 Reisenden, die in ganz Österrreich die Produkte verkauften. Ich wurde der kaufmännischen Abteilung, die für alles-außer der Herstellung der Produkte-verantwortlich war, zugeordnet. Sie umfasste 9 oder 10 Personen, fast die Hälfte davon kurz vor dem Pensionsantritt, die andere Hälfte junges Personal, aber alle etwas älter als ich. Unser Chef war ein Diplomkaufmann namens Lammel.
Langsam ging mir auf, dass “meine” Firma eine kleine Tochterfirma des größten Nahrungsmittelkonzerns der Welt ist. Im gleichen Haus gab es nämlich, eine Maggi GmbH und eine Nestle Wien AG.
Sechs oder sieben Monate nach meinem Eintritt wurde Herr Lammel abgezogen und übernahm etwa die gleiche Position in einer neu gegründeten Gesellschaft des gleichen Konzerns. Und zu meinem großen Erstaunen wurde ich zum Abteilungsleiter “meiner” Firma ernannt. Die große Herausforderung bestand für mich nun darin, mit meinen altersmäßig sehr gemischten Mitarbeitern zurecht zu kommen. In keinem Fach meiner Ausbildung war das Thema “Menschenführung” vorgekommen!
Also ließ ich alle ihre Arbeit machen und half da und dort, wo es eben notwendig war. Ich erinnere mich noch, dass die junge Buchhalterin zu mir sagte “…ich habe gehofft, dass ich jetzt einen Assistenten bekomme, den ich nach meinem Geschmack ”abrichten“ (ja, sie sagte wörtlich: abrichten) kann, und jetzt sind sie mein Chef“.
Im späten Frühjahr 1963 war der Bilanzbuchhalterkurs zu Ende und die Prüfung nahte. Sie hatte den Ruf, sehr schwer zu sein und bestand aus einer elend langen schriftlichen und dann einer kommissionellen, mündlichen Prüfung. Tatsächlich betrug die “Durchfallerquote” über 60 Prozent. Ich bestand sie und war mit meinen 21 Jahren wahrscheinlich einer der jüngsten Bilanzbuchhalter Österreichs.
Dr. Peschka “entdeckte” mich und zog mich zu bestimmten Arbeiten heran. So lernte ich z.B. die ersten Schritte, wie man aus drei Gesellschaftsbilanzen eine Konzernbilanz “konsolidiert”. Nicht sehr viel später kam von der Konzernleitung in der Schweiz der Auftrag, in unseren Fabriken (es gab damals zwei in Österreich) ein neues Kostenrechnungssystem einzuführen.
© Günter Hagmann 2021-07-02