9. Akt: Fernbeziehung

Thomas Schmitt

von Thomas Schmitt

Story
In Nordfrankreich 2023

„Hallo, Julian – lange nichts von dir gehört! Was kann ich gegen dich unternehmen?“

Dubois war zu Beginn des Arbeitstages schon wieder ganz offensiv unterwegs und wollte den Auftrieb nutzen, den Flaneurs Story freigesetzt hatte. Jetzt hört er am anderen Ende der Leitung nur ein vernehmbares Schnaufen. Julian war scheinbar gerade im Begriff, sich künstlich aufzuplustern.

„Spar‘ dir deine Sprechblasen! Du weißt ganz genau, weshalb ich anrufe …“

„Äh, um ehrlich zu sein, ich stehe gerade auf dem Schlauch …“

„Das wäre nicht das erste Mal. – Aber erzähl‘ mir ja nicht, dass du dieses Machwerk von Flaneur noch nicht gelesen hast!“

„Hat der schon wieder etwas geschrieben? Wollte er sich nicht zur Ruhe setzen?“.

Dubois mimte den Ahnungslosen. Er musste sich gerade wahnsinnig zusammenreißen, dass er nicht laut losprustete. Das breite Grinsen in seinem Mondgesicht sprach Bände. Krebs bekam davon natürlich nichts mit.

„Hör‘ mal gut zu, mein lieber Alphonse: Du wirst mir doch jetzt nicht erzählen wollen, dass sich dieser verdammte Flaneur die Geschichte ganz spontan aus den Fingern gesaugt hat! – Gestern sind wir noch wegen der Nutzung des Wassers aneinander geraten und heute ist das der Aufmacher im Regionalteil, von dem Kommentar ganz zu schweigen! Das habt ihr beide doch in eurer Giftküche angerührt! – Ich lasse mir das nicht bieten und das wird Konsequenzen haben!“

„Jetzt mach‘ mal halblang, Julian! Wir haben hier nur ’ne Teeküche und ich gebe auch keine Zeitung heraus. Und mein Bedarf an Verschwörungstheorien ist seit Corona absolut gedeckt. Am Ende stecken noch George Soros und Billy Gates dahinter. Jetzt komm‘ mal runter! Wir kennen uns lange genug, um zu wissen, dass wir Konflikte von Mann zu Mann und auf Augenhöhe in aller gebotenen Offenheit austragen.“ Dubois war gerade wahnsinnig begeistert von sich selbst. Einfach faszinierend, wie er in diesem Moment für Julian ein rhetorisches Candlelight-Dinner mit Nebelkerzen illuminierte, ohne das, so dachte er, dem Gast am anderen Ende ein Licht aufging.

„Ich trau‘ dir nicht über den Weg. Du hast mir in der Vergangenheit schon genug Knüppel zwischen die Beine geworfen!“, verstieg sich Julian Krebs.

„Ja, aber nur, wenn du erkennbar auf dem Holzweg warst und ich dich darauf aufmerksam machte. Da kannst du dich immer auf mich verlassen.“

„Vielen Dank aber auch“, schnappte Krebs zurück.

„Gerne geschehen! Wir sollten zur Sachebene zurückkehren. Ich walte hier nur meines Amtes und werde deshalb eine Gemeindeversammlung anberaumen, damit auch unsere Bürger zu Wort kommen. – Das ist doch sicherlich auch in deinem Interesse, Julian.“


© Thomas Schmitt 2023-11-23

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch
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