Den Rest des Tages habe ich mich in meiner Kabine versteckt. Über Stunden verweilte ich unter meiner Decke. Heute steht auf dem Abendprogramm das Kapitänsdinner an. Somit kein Jamal und infolge kein Zimmerservice. Ich könnte das Dinner aussetzen, aber das würde bedeuten, dass die Seekrankheit zurückkommt und die Tabletten habe ich vor Tagen weggeworfen. Ich werde zu diesem Dinner gehen und ihn ignorieren.
Am Speisedeck, welches heute anlässlich des Empfangs prunkvoll gedeckt ist, herrscht bereits eine ausgelassene Stimmung. Die Passagiere sehen in ihren eleganten Roben umwerfend aus. Bis jetzt kann ich ihn nicht sehen, aber das hat nichts zu bedeuten. Vielleicht hat er schon gegessen oder geht mir aus Respekt aus dem Weg.
Wie konnte ich so ignorant und blind sein – die Zeichen waren eindeutig. Das einzigartige Parfum, die unverwechselbare Stimme und die „Oh Johnny-Rufe“ der Frauen hätten mir eine Warnung sein sollen.
„Madame, leider sind alle Tische besetzt. Würde es Ihnen etwas ausmachen sich zu einem anderen Passagier dazuzusetzen?“
Zum Glück war es nicht die Kellnerin von heute Morgen. Ich stimme zu und werde zu meinem Platz gebracht. Wir gelangen am Ende des Raums zum schönsten Tisch des Abends, mit direktem Blick auf das Meer.
„Hier Madame, Ihr Platz, die Kellnerin wird sofort bei Ihnen sein, um Ihre Bestellung aufzunehmen. Darf es bereits etwas zu trinken sein, vielleicht ein Glas Champagner?“
Ein Glas wird zu wenig sein, denn mein Tischpartner ist kein Geringerer als mein Ex-Mann. Lieber eine ganze Flasche, die mich aus diesem Albtraum rettet.
Er steckt der Kellnerin mit einer Selbstverständlichkeit Trinkgeld zu. „Vielen Dank Laura, für Ihre Mühe“. Hat er das Treffen arrangiert? „Hallo mein Schatz, nimm doch bitte Platz.“ „Nenn mich nicht Schatz, das ist doch wohl ein Scherz! Was willst du hier?
Ich will sofort einen anderen Tisch.“
„Du kannst dein Glück versuchen, aber alle anderen Tische sind besetzt. Setz dich doch und leiste mir Gesellschaft.“ „Hast du diese Zusammenkunft geplant und die Kellnerin bestochen? Das würde absolut zu dir passen, denn mit Geld lässt sich ja alles regeln!“ Er lächelt weiterhin und ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Wieso hat er ein so umwerfendes Lächeln. „Es ist auch schön dich wiederzusehen, bitte nimm doch Platz.“ „Nein, auf keinen Fall.“
„Guten Abend, mein Name ist Cely. Ich bin heute für Sie zuständig. Darf ich Ihre Bestellung aufnehmen?“ Als ich mich umdrehe, ist es keine Geringere als die Kellnerin von heute Morgen. Zu meiner Verwunderung, scheint „Cely“ mehr überrascht zu sein als ich, denn ihr Gesicht wird dunkelrot. Sie scheint nicht begeistert zu sein, dass mein Ex-Mann, ihr „Johnny“ heute mit einer anderen diniert. Ich beschließe, dass es für heute genug unangenehme Situationen gab und mit erhobenem Haupt den Weg zur Kabine anzutreten. „Leila, bleib hier und leiste mir Gesellschaft, es ist so lange her.“
„Danke, aber ich lehne ab, denn wie ich sehe bist du in bester Gesellschaft. Stimmt doch oder ‚Johnny‘?“ „Leila, das ist nicht so wie du denkst, das hatte nichts zu bedeuten!“
In diesem Moment ergoss sich der gesamte Inhalt des Champagnerglases vom Tisch über sein Gesicht. Denn Cely, wie es scheint, hatte auf mehr als nur einen Urlaubsflirt gehofft.
© Jennifer Gradwohl 2024-08-18