von Philo Harmening
Und obwohl sie wusste, dass sie nicht schuld daran war, was die Menschen taten, machte sie sich doch Vorwürfe. Denn hätte sie nicht den egoistischen Gedanken gehabt, Wesen zu erschaffen, die ihr ähnelten, hätte sie nie das Leben auf der Erde gefährdet. Sie war zwangsläufig für alles verantwortlich, immerhin war dieses gesamte Universum nur durch sie entstanden. Sie fragte sich, ob es denn wirklich möglich war zu kontrollieren, was aus den eigenen Schöpfungen wurde, sobald sie vollbracht waren. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie es hätte sehen kommen müssen. Denn tief in sich hatte sie gespürt, dass die Menschen Chaos anrichten würden. Trotzdem hatte sie sich entgegen ihres Wissens dazu entschieden, ihnen eine Chance zu geben. Und jetzt musste sie sich schmerzhaft eingestehen, dass dieses Experiment fehlgeschlagen war. Es machte sie traurig, denn alles, was sie sich gewünscht hatte, war nicht mehr ganz so allein zu sein, Menschen zu haben, denen sie ihre unglaubliche Geschichte erzählen konnte. Doch wieso hatten es unbedingt Menschen sein müssen? Wieso hatte sie sich an das gehalten, was sie kannte: Ihre eigene physische Form gepaart mit den Erinnerungen, die ihr so fremd waren. Sie fragte sich, wieso sie ihrer Kreativität nicht mehr Raum gelassen hatte. Sie hätte Meerjungmenschen erschaffen können, doch das Meer schien bereits so voll zu sein. Einhörner und Drachen als Wesen, denen sie geringe magische Fähigkeiten hätte übertragen können, hätten vielleicht auch reden können. Und vielleicht hätten sie sie auch weitaus besser verstehen können, denn auch sie hätten dann Dinge aus dem Nichts erschaffen können. Sie wusste noch genau, wie sie vor kurzem unter Bäumen saß, in Blumenfeldern lag, oder Tomaten pflückte. Vielleicht, dachte sie, vielleicht hätte sie der Natur eine Stimme geben sollen. Sie schien so friedlich, so fürsorglich. Sie gibt, anstatt zu nehmen. Vielleicht hätte sie eine bessere Freundin sein können, als die Menschen es jemals sein würden. Der Gedanke tat weh, doch es schien ihr ein Fehler gewesen zu sein, die Menschen zu erschaffen. Und am liebsten wollte sie mit den Fingern schnipsen und sie alle verschwinden lassen. Doch das kam ihr so grausam vor. Sie fragte sich, was wohl der Grund dafür war, dass alle Lebewesen so gut mit der von ihr erschaffenen Welt umgingen, nur der Mensch sich als Gött*in aufspielte und dabei alles zu zerstören suchte. Sollte die intelligenteste Spezies nicht genau das sein: intelligent!? Intelligent genug, um zu verstehen, dass sie die Welt braucht, um zu leben; dass sie einander brauchen, um zu überleben? Es brauchte doch keinen Überlebenskampf mehr, wenn alle gerettet werden konnten. Mara schüttelte den Kopf. Sie verstand nicht, wie es so weit hatte kommen können. Sie dachte durch die Menschen verstanden zu werden, doch gerade verstand sie die Menschen nicht und das fühlte sich so unheimlich einsam an.
© Philo Harmening 2022-08-29