9. If I can´t dance, it´s not my revolution!

Anna Theresa Schreiber

von Anna Theresa Schreiber

Story

„Der typische Mensch ist in der Philosophie meistens ein weißer, reicher, heterosexueller Mann. Dieses Bild hat sich auch auf andere Bereiche der Wissenschaft und des Alltags ausgewirkt und so werden die Erfahrungen aller anderen Menschen nicht als allgemeingültig betrachtet, sondern als Abweichung. Hier beginnen die Probleme“, erklärte Emma, „wir wollen unsere Perspektiven als ebenbürtig einbeziehen. Unsere Sichtweisen auf die Welt sind relevant!“

„Du fragst dich vielleicht, wieso wir dann die Philosophie noch brauchen. Ob sie nicht eine veraltete, männlich dominierte und lebensfremde Geisteswissenschaft ist“, setzte Aluna an.

Ich nickte zaghaft. „Ja. Und wieso ich? Ich habe ein mittelmäßiges Abi, meine Eltern haben nicht studiert und wir haben wenig Geld. Ich habe keine Ahnung von Philosophie.“

„Ich wette, ‘Sofies Welt’ hat sie auch nie ganz gelesen!“, knurrte Rebekka. Emma warf ihr einen bösen Blick zu. „Ist leider so“, gestand ich.

„Genau das ist dein Denkfehler. Uns kommt es nicht auf das Vermögen oder die Bildung deiner Eltern an oder Zahlen in einem Zeugnis. Was sagt das aus? Mary Midgley meinte, dass Philosophie ein natürlicher Teil des Menschseins ist. In bestimmten Lebensphasen, etwa bei einschneidenden Erlebnissen oder wichtigen Entscheidungen, stellen wir uns alle Fragen nach dem Sinn“, meinte Aluna.

„Iris Marion Young, auf die wir später noch zu sprechen kommen, war in einem Jugendheim und einer Pflegefamilie, weil sich ihre Mutter nach dem Tod des Vaters angeblich nicht gut um ihre Kinder kümmerte. In ihrem Werk setzte sich Young später sehr für soziale Gerechtigkeit ein. Nicht alle Philosophen sind privilegierte Männer“, warf Emma ein.

„Hm …“, machte ich. „Mit Feminismus kenne ich mich leider auch nicht so gut aus.“

„Das ist einfach“, behauptete Lucia, „es gibt mehrere Strömungen. Der Gleichheitsfeminismus, den zum Beispiel Simone de Beauvoir vertrat, unterscheidet zwischen sex und gender. Also sind biologisches und soziales Geschlecht nicht identisch. Frauen sollen die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie Männer haben, weil sie ja nicht von Natur aus anders sind. Judith Butler stellt in Frage, ob es überhaupt ein natürliches biologisches Geschlecht gibt oder das ebenfalls nur ein soziales Konstrukt ist. Es gibt ja auch nicht-binäre Menschen. Dagegen sagt der Differenzfeminismus, dass es doch spezifisch weibliche Werte, Fähigkeiten und Erfahrungen gibt. Diese sollen gefördert und unterstützt werden. Ein Beispiel hierfür ist Carol Gilligan als Vertreterin einer Care-Ethik, in der Fürsorge und Mitgefühl zentral sind.“

„Seeehr kurzer Crashkurs“, kommentierte Yuki, „wir kennen zwar die Wahrheit nicht, sind uns aber sicher, dass sich was ändern muss. Wir sind übrigens intersektionale Feministinnen.“

„Und jetzt feiern wir eine Willkommensparty für Maya“, beschloss Emma, „wie die alte Goldman schon sagte: Wenn ich nicht tanzen kann, will ich eure Revolution nicht!“

© Anna Theresa Schreiber 2022-04-28

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