9. Kapitel: Galgenhumor

Paul Fehlinger

von Paul Fehlinger

Story
hamburg 2018

Plötzlich ziehe ich aus Versehen einen Zug auf Lunge. Ich huste fürchterlich, doch lache dabei, was das Rumhusten ungünstig beeinflusst. Als mein Hustenanfall endet, betrachte ich dieses seltsame, glühende Ding in meiner Hand. Die Zigarre schmeckt mir nicht (Wen wundert es bei zwei Euro fünfzig das Stück?!) und generell scheint mir das Gesamtkonzept einer Zigarre völlig sinnlos zu sein. Der einzige Pluspunkt: Man sieht Zigarre rauchend stilvoll aus. Also posen wir mit unseren neuen Trainingsanzügen und den Zigarren für ein gemeinsames Foto, das wir mit dem Handy aufnehmen. Wir schauen uns das Resultat an und müssen schmunzeln. Ich spreize meine Finger zum Westcoastzeichen (bzw. ein W), während Basti pseudomäßig und übertrieben ernst guckt, was die Aufnahme seltsam stimmig und humorvoll macht. Zwei halbstarke Depressionspatienten auf Opiaten.

Tilidin macht mich immer unbeschreiblich kreativ, zumindest am Anfang des Konsums: So sitzen wir beiden auf der ziemlich dreckigen Coach in Bastis Wohnung und feilen seit Ewigkeiten mal wieder an Raplyrics herum. Das Schreibtempo ist enorm. Innerhalb von einer halben Stunde sind vier Liedskizzen fertig. Quantität statt Qualität oder so, aber uns ist das egal. Es geht mehr um das Schaffen an sich. Wir freestylen einfach drauflos. Über die raplosen Monate der letzten Zeit haben sich scheinbar etliche Zeilen im Kopf angehäuft, die nach Ausdruck und Verewigung drängen.

Der Opiatrausch von jetzt jeweils vier 100er-Tilis verursacht starke Stimmungsschwankungen. Mitschuldig ist nicht nur das Opiat, sondern die Stimmung des jeweiligen Instrumentals über das wir rappen. Erst chillig, dann aggressiv und jetzt… Nun ja… Ein wenig suizidal… Wenn auch mit Humor…

„Wachte auf in der Themse/ Dabei wollt ich doch ertrinken/“, rappt Basti.

Währenddessen fantasiere ich lyrisch über eine vergoldete Rasierklinge.  

„Sie schneidet viel tiefer/“, trällere ich auf das langsame Mollpiano. „Ich weiß, dass ich sie nicht finde/ Doch suche sie, sie ist nie da/.“ Keine Ahnung, was ich damit sagen will. Das ist eigentlich nichts, außer billigem Singsang, den man kurz vor seinem ersehnten Freitod vor sich hin summt, während man zu den Gleisen geht.

„Viel mehr Zeilen fallen mir auch nicht mehr“, melde ich Basti, der noch an seinem Text werkelt. Er schaut auf und der simple Depribeat beginnt zum zwanzigsten Mal von vorn…

© Paul Fehlinger 2025-01-07

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Traurig, Dark
Hashtags