9 Lina

Alexandra Vogel

von Alexandra Vogel

Story
La Palma

Sobald Lina in Barcelona mit den anderen in der Wartehalle des Flughafens an einem Tisch saß und von sich erzählte, löste sich in Frida das Bild der unselbstständigen Mutter und Hausfrau auf, die ihren Flug nicht allein buchen konnte, sondern dabei auf ihren Mann angewiesen war. ‚Wie schnell wir Menschen in Schubladen stecken aufgrund von Aussagen, die nur Fragmente vom großen und ganzen sind und die Realität nicht im Geringsten abbilden.‘ Neben der Scham über diese vorschnelle, unnütze Bewertung anhand von Nachrichten in dem Sturmfrei-Gruppenchat, machte sich Bewunderung in Frida breit. Lina war nicht nur Frau, Ehefrau und Mutter von drei Kindern – sie war auch selbstständig und hatte sich in den letzten Jahren ein eigenes Business aufgebaut. Plötzlich war Frida Fan Girl. Mit ihrer Energie und ihrer Businesshaltung war Lina Inspiration, die eigenen Träume zu verfolgen, den eigenen Wert und den Wert des eigenen Produkts zu sehen und dafür einzustehen.
Lina war die Lady unter den Frauen, die, die auf dem Weg zur Höhle aussah, als wäre sie auf einen kleinen, eleganten Städtetrip, während die anderen mit großen und prall gefüllten Wanderrucksäcken klar signalisierten, wohin sie wirklich unterwegs waren.

Nach vielen Jahren harter Beziehungsarbeit waren Lina und ihr Freund in ihrer Beziehung so gefestigt, dass sie sich so nah waren, wie noch nie, und sich gleichzeitig so viel Freiheit schenkten, wie noch nie. „Ich bin die Pflanze und Tim ist die Vase. Er gibt mir Halt, aber ich brauche mehr Freiheit. In der Vase konnte ich nicht blühen, da war kein Leben. Die Beziehung war mir zu eng. Die Pflanze musste raus, ich musste raus. Ich gehöre nicht in eine Blumenvase, ich gehöre raus in die Natur.“ Was sie damit meinte: mit Tim will sie in Liebe und Zuneigung die gemeinsamen Kinder begleiten, aber um bei sich zu sein und bleiben zu können, musste sie Abenteuer erleben dürfen. Abenteuer, die sie daran erinnerten, dass da mehr war außer das Dorfleben als Partnerin und Mutter. Mehr als das Leben in einer monogamen Beziehung. In der Nacht am Meer schrieb Lina eine Nachricht: „Tim, mach dir keine Sorgen. Ich bin so nah bei mir und bald wieder auch ganz nah bei dir.“

Manchmal müssen wir uns selbst wieder ganz nah kommen, um anderen nah sein zu können.

Lina erzählte von atemberaubenden Begegnungen mit einem Mann in einem Club und einer Szene an einem Bürofenster mit ihm, die für sprachlose, offene Münder sorgte. Lina schien erotische Abenteuer anzuziehen. Sie war voller Neugierde auf sich selbst und das Leben. Während Frida auf Kommando Rotz und Wasser heulen konnte, steckten Linas Tränen fest. Da war Faszination und Sehnsucht in Linas Augen, wenn sie Frida beim Weinen beobachtete. Und umgekehrt war Frida fasziniert und sehnsüchtig, wie Lina Wut ausdrücken und ausleben konnte. Denn Wut war es, die in Frida feststeckte. Wut für andere konnte sie ausdrücken. Aber ihre eigene Wut, Wut, die sie selbst betraf, saß hinter dicken Mauern. Abgeschottet. Die intensive Zeit, die die Frauen miteinander verbrachten, schenkte jeder Einzelnen unzählige Erleuchtungen und neue Zugänge, sich selbst zu verstehen. Sturmfrei war für sie eine Woche Intensivkurs, um das Leben besser verstehen zu können und um herauszufinden: „Was will ich wirklich?“ 

© Alexandra Vogel 2024-08-19

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Inspirierend
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