9) Marco

Selina Kissmann

von Selina Kissmann

Story

»Sieh sie dir an.« Marco folge der Anweisung von Maik und schaute zu Tom und Ben hinüber. Er hatte sich auf ihre Seite geschlagen, sich für sie eingesetzt und trotzdem schickten sie ihn weg, als sei er nichts wert. Alles nur, weil er das Glück hatte, mit seiner Schwester hier zu sein? Von Glück war kaum die Rede. Er hatte noch zwei Brüder, eine Mutter, einen Vater, Freunde, sogar eine feste Freundin. Er hatte auch Menschen zurücklassen müssen, wie jeder Andere in diesem Bunker. Noch dazu wollte er ursprünglich seinen Platz aufgeben, doch jemand kam ihm zuvor. Der neue Name, welcher dann auf der Liste angezeigt wurde, war der seiner Schwester. Seine Mutter flehte ihn an, bei Julia zu bleiben, sie nicht alleine gehen zu lassen und da er ihr nie etwas abschlagen konnte, willigte er schließlich doch ein. Nun war er hier. Von allen geschnitten. Von allen, außer Maik.

Zu Beginn war er kein Fan von diesem Kerl gewesen, der einfach gegen alles zu sein schien, doch nachdem Tom und die anderen ihn weggeschickt hatten, kam Marco mit Maik ins Gespräch. Im Grunde war er ein freundlicher Mann, der sich traute, die Dinge zu hinterfragen und seine Gedanken laut auszusprechen. Er war wohl Automobilkaufmann gewesen, lebte alleine, hatte früher viele Freunde, doch als sie alle allmählich sesshaft wurden, zogen sie weg und vergaßen Maik. Er erklärte Marco, wieso er sich dermaßen aufregte und es ergab alles einen Sinn. Diese ganze Heimlichtuerei seitens der Regierung, die Gruppierungen, angeblich aus reinem Zufall, die Unwissenheit – das alles waren Zufälle und Gegebenheiten, welche nach einigen Gedankengängen doch ziemlich unwahrscheinlich erschienen und Tom? Der spielte sich auf wie der alles wissende Held. Brav befolgte er alle Regeln und versuchte, seine Stellung zu wahren, doch welcher Held hat sich jemals wirklich an die Regeln gehalten? Solange er jedoch den alles entscheidenden Schlüssel bei sich trug, hatten sie keine Möglichkeit, zu entkommen. Sie waren Ratten in einem Käfig. Doch das wollten die sie ändern.

Seit drei Tagen schmiedeten sie Pläne, um Tom zu überwältigen und endlich ihre Freiheit zurückzuerlangen. Nur auf diese Weise konnten sie den anderen beweisen, dass sie Recht hatten und es da draußen nichts gab, wovor es sich zu fürchten lohnte. Doch sie wollten clever vorgehen. Sie hatten eventuell nur diese eine Chance. Es musste alles glatt gehen.

»Sie ahnen rein gar nichts.« Maik grinste in sich hinein. »Bist du bereit, das durchzuziehen? Bald ist es soweit.« Marco sah sich im Raum um. Sein Blick wanderte von der schlafenden Marie, über Silvie und Adriana, hin zu Emma, die sich noch immer um Lukas und Annie kümmerte und blieb hängen an Julia, welche mit der kleinen Lilly spielte. Er hatte sie sich nie mit Kindern vorstellen können, dafür erschien sie immer zu unverantwortlich, doch vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht würde sie eines Tages selbst Kinder haben, wenn sie sich endlich hinaus trauten.

»Du kannst auf mich zählen.«

© Selina Kissmann 2022-04-14

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