9 -Maxim-

Laura Geigele

von Laura Geigele

Story

Das letzte Stück zum Lazarett war alles andere als leicht gewesen. Vor allem, da ich die Leiche der ukrainischen Zivilisten getragen habe. Wir konnten sie da nicht zurücklassen. Ein einigermaßen anständiges Begräbnis war das Mindeste, was ihr zustand. Nach ihrem kleinen Sohn Roman würden wir gleich bei unserer Ankunft im Krankenhaus suchen. Wahrscheinlich hatte die Frau ihn dort in den Ruinen gesucht. Unseren Angreifer haben wir liegen lassen. Auch wenn er es keinesfalls verdient hatte, würde ich später jemanden nach ihm schicken lassen. Unsere Körper sind gebeutelt, als wir vor unserem Ziel ankommen. Milana hat auf dem verbleibenden Weg hierher kein Wort gesagt. Die Ereignisse waren ihr einfach zu viel gewesen. Ich konnte es ihr keinesfalls verübeln, die Erinnerungen an ihre Schwester Jeva kamen ihr wahrscheinlich wieder in den Sinn. Mein Blick schweift über das Gebäude. Es wurde ebenfalls heftig angegriffen. Doch im Gegensatz zu den umliegenden Häusern scheint es weniger getroffen. Ich blicke in Milans Richtung, der leblose Körper hängt mir immer noch über der rechten Schulter. Wie eine Puppe, die ihr letztes Theaterstück vollbracht hat. In einer viel zu grausamen Welt. »Ich bin bereit.« Milanas Stimme klingt brüchig. Es muss Stunden her sein, dass wir unsere letzte Wasserflasche geleert haben. Meine Kehle fühlt sich trocken und wund an. Ich nehme ihre Hand, um ihr Kraft zu vermitteln und wir gehen gemeinsam durch den brüchigen Eingang in das Krankenhaus hinein. Geräusche überschlagen sich und Menschen rennen wirr umher. Pfleger schieben Verwundete auf Tragen durch die Gänge oder man sieht Soldaten, die sich an anderen Leuten abstützen. An der Front war es letzte Nacht wohl alles andere als ruhig. Ich sehe Männer mit ukrainischen, aber auch russischen Abzeichen, die versorgt werden. Jeder Zentimeter dieses Gebäudes scheint mit den Folgen des Krieges ausgefüllt zu sein. Eine Frau bleibt mitten in ihrer Bewegung stehen, ich sehe, dass sie so etwas wie einen Arztkittel trägt. »Kann ich ihnen helfen? Was ist mit der Frau passiert?« Ihre Worte klingen gehetzt. »Sie wurde angeschossen. Leider ist sievor Ort gestorben.« Ich muss fast schreien, da es hier sehr laut ist. »Bitte kommen Sie mit, wir haben einen extra Raum für die Verstorbenen.« Milana nickt mir stumm zu und wir folgen der Frau. Überall stehen Pritschen oder liegen Matratzen, auf denen mindestens ein Verletzter liegt. Oft müssen sich auch zwei oder drei Menschen eine Liege teilen. Es bricht mir das Herz, als ich ein kleines Mädchen sehe, das auf dem Schoß seiner Mutter liegt und unaufhörlich weint. Sie schreit immer wieder einen männlichen Namen. Vielleicht ist es ihr Vater, der gestern an der Front, sein Leben lassen musste. Egal welcher Nationalität er angehört hat, ob russisch oder ukrainisch, keine Seele verdient solch ein Leid. Vor allem nicht ein unschuldiges Kind. Plötzlich stürmt eine ältere Frau auf Milana zu und rennt dabei fast die vermeintliche Ärztin um. »Schatz, wo warst du? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!« Da wird mir klar, dass das ihre Mutter sein muss. »Alles gut Mom, es tut mir leid. Ich werde später alles erzählen. Wie geht es euch?« Ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie schaut ihre Mutter mitfühlend an. »Damian ist heute Nacht schwer verletzt hier eingeliefert…« Sie bricht ab, da sie anfängt zu zittern. »Bring mich sofort zu ihm!«, schreit Milana. Ich streiche ihr behutsam über die Wange und dann rennt sie mit ihrer Mutter davon.

© Laura Geigele 2024-08-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll