von Hermi Berger
Meine Mama am Totenbett: So, wie sie als Leiche niemals aussehen wollte.
DAS war nicht mehr sie. Das Gesicht dick, die Lippen so lustig zusammengepresst, dass ich damals wirklich lachen musste. Und dabei wollte sie doch immer eine „schöne Leich“ sein! Und ich stand da an ihrem Totenbett und lachte, weil sie so lustig aussah.
Mama, ich war doch damals, als du von uns gingst so etwas von erleichtert und froh, weil du es geschafft hattest! Und dementsprechend konnte ich auch lachen über dein lustiges Gesicht.
Du wolltest schon so lange sterben. Das Leben war nicht mehr wirklich lustig für dich. Immer und immer wieder hast du mir klargemacht, dass es nur mehr eine Plage ist, wenn man für jeden Handgriff auf andere Menschen angewiesen ist. Wo du doch so selbständig und unabhängig und dein ganzes Leben lang lieber DU für andere da warst.
Wie oft haben wir gemeinsam und auch jede für sich um eine gute Sterbestunde gebetet für dich. Und jetzt hattest du sie. Und wir durften bei dir sein. Meine Schwester und ich gemeinsam. So haben wir uns das doch immer gewünscht, nicht wahr?
Deine Gallenblasenoperation im Krankenhaus Scheibbs hat es möglich gemacht. Dadurch war jetzt abzusehen, dass du uns bald für immer verlassen würdest. Deine Kraft ging zu Ende und wir waren uns mit den Ärzten einig, dass jetzt deinem Wunsch entsprochen werden muss und dein 97jähriges Leben nicht mit künstlichen Mitteln verlängert wird.
So friedlich bist du entschlafen. Ich habe es bei dir erleben und mit ansehen dürfen. Ich weiß jetzt, dass es so etwas wirklich gibt: ENT-SCHLAFEN. Jeden einzelnen Atemzug von dir habe ich noch genießen dürfen. Jede längere Atempause hat mir klargemacht, dass du bald am Ziel bist. Und je flacher dein Atem wurde umso dankbarer wurde ich für dein Hinübergleiten. Ich hielt deine Hand und waren uns sehr nahe. Du warst so entspannt und sahst so friedlich aus. Als dein Herzschrittmacher gar nimmer aufhören wollte „Alarm zu schlagen“, drehte die Schwester fürsorglich das Gerät ab. Die Atempausen wurden immer länger, bis dann schließlich nichts mehr kam. Du warst tot.
Der Körper, der jetzt da lag – mit Schläuchen und Apparaten versehen hatte nichts mehr mit meiner Mama gemeinsam. Ich wollte raus aus dem Krankenzimmer und deine Seele gedanklich begleiten.
In der halben Stunde in der man dich dann von allen medizinischen Utensilien befreite, setzte diese massive Gesichtsveränderung ein und als ich dich dann im Raum der Stille noch einmal sehen durfte, hatte ich nichts anderes zu tun als zu lachen . . .
Ich konnte dich noch einmal berühren, aber das warst nicht mehr du. DU, die du doch so gerne eine „schöne Leich“ gewesen wärst. DU, die du dein ganzes Leben nicht eitel warst. Und gerade DU legtest Wert darauf, am Totenbett schön zu sein. Und gerade DAS hat es dann nicht gespielt in deinem letzten Akt. Und ich musste auch noch lachen über dein lustiges Gesicht. „Mama, liebe Mama, bitte verzeih mir!“
© Hermi Berger 2020-07-19