Julia Krömer saß mit verweinten Augen in der Waschküche. Sie merkte, wie ihre Schluchzer leiser und nicht mehr ganz so verzweifelt klangen. Wie ein angeschossenes Tier, dachte sie, genauso muss es sich für Außenstehende anhören. Nachdem sie an diesem Morgen erneut mit Katharina Winkelmann telefoniert hatte, hatte sie gehofft, die Lethargie abschütteln zu können. Doch nun saß sie hier, vor ihrem gefüllten Wäschetrockner und fand nicht die Kraft dazu, die Hemden auszuräumen, zu bügeln und in den Schrank zu hängen. Julia wusste, dass Sven sie verlassen würde. Innerlich hatte er sich schon lange von ihr entfernt, er würde es auch bald äußerlich sichtbar machen. Ihre einzige Hoffnung war, dass Katharina ihr einen eindeutigen Beweis für den Betrug ihres Mannes liefern würde. Dann würde sie vielleicht die Kraft finden, um ihn verlassen. Es wäre ein würdigeres Ende. Ihr Smartphone vibrierte. Eine Nachricht von Katharina erschien auf dem Display. „Hast du schon einen Hinweis?“ Wieder erschütterte eine Welle der Tränen Julia. „Nein“, tippte sie simpel zurück und war froh, dass Katharina sie in diesem Moment nicht sehen konnte. Langsam holte sie die Wäsche aus dem Trockner und schleppte sich mit dem Korb zwei Stockwerke nach oben. Im Bügelzimmer ließ sie sich auf die Gästecouch fallen und starrte die weiße Wand an. Wo sollte sie überhaupt zu suchen beginnen? Und wie würde Sven reagieren, wenn er bemerkte, dass sie in seinen privaten Sachen geschnüffelt hatte? Mechanisch stand sie auf, schaltete das Bügeleisen an und begann, die Wäsche abzuarbeiten. Katharina hatte ihr am Morgen aufgetragen, Hinweise zu suchen, die auf eine andere Frau hindeuteten. Im Regelfall konnte so etwas ein neues Parfum, eine Restaurantrechnung oder ein Chatverlauf sein. Julia grübelte. Sie hatte keine Einsicht in Svens Konten und schon gar nicht in sein Handy. Wie sollte sie nur einen Hinweis auf eine andere Frau finden? Mit Tränen in den Augen ging sie zu Svens Kleiderschrank, um den ersten Schwung gebügelter Hemden einzuräumen. Gerade, als sie die Tür wieder schließen wollte, entdeckte sie auf einem Einlegeboden etwas Erde. Verwundert holte Julia eine Kehrschaufel, um den Dreck wegzufegen. Wie kam er dorthin? In dem Regal befand sich Svens Schützenausrüstung, seine Schießbekleidung und seine Schießschuhe. Viele Vereinsmitglieder bewahrten ihre Schießkleidung im Schützenheim auf, doch Sven hatte für seine Ausrüstung sehr viel Geld bezahlt und wollte sie lieber im Haus haben. Julia räumte das Regal aus und entdeckte noch mehr Dreck und Erde im hinteren Teil des Regalbodens. Als sie schließlich die Schießschuhe hervorholte, stockte ihr der Atem. Sven zog – entgegen der Vorschrift – die Schießschuhe bereits immer zuhause an und ging die wenigen Schritte zum Schützenheim auf einem rein asphaltierten Weg, um sie nicht schmutzig zu machen. Daher war es seltsam, dass an den Schuhen eine dicke Kruste Erde haftete.
© Anne Hechenberger 2022-08-29