von Perleberg
Alles ist getan. Alles ist in Ordnung und hätte nicht besser gemacht werden können. Alles ist klar und friedlich. Mein erhitztes Gemüt der letzten Tage hat sich beruhigt. Abdullah hat mich erkannt. Minjosch und die Teenies sind wieder auf die Terrasse eingezogen. Minjosch döst friedlich und sicher auf dem grünen Plastikstuhl neben mir. Die Teenies rappelten sich und ruhen jetzt aus. Alle haben gefrühstückt. Abdullah und ich tranken gemeinsam Kaffee und schmusten etwas. Dann ging ich. Es ist der letzte Morgen. Ich gebe ihm Wärme und Geborgenheit. Wir begehren uns und ich habe das Gefühl, dass ich mich ihm jetzt öffnen könnte. Wenn es so wäre, würde es ehrlich sein, zumindest von meiner Seite aus. Es wäre ein Geben, kein Nehmen. Er äußerte gestern Abend ein paar Zukunftsgedanken. Er wolle mich besuchen, ich solle jederzeit zu ihm kommen, auch wenn es nur ein Wochenende wäre. Er sei immer hier. Hier in seiner Wohnung, hier in seinem Shop. Er warte auf mich. Immer. Kein überstürztes Drängen nach Sex mehr, kein Entgegenstrecken der Zunge und andere Irrigkeit, die mich anfangs verschreckt haben. Er zeigte sich mir in echt – das hoffe ich – mit seinen ganzen Wehwehchen und Makeln; die Zahnschiene für die winzig kleinen Zähnchen, sauber und blenden weiß, der Rückengurt zur Verbesserung der Haltung, sein Diabetes und die Rückenschmerzen. Das sind die ersten Schritte. Ich streichelte seinen gebräunten Bauch. Weiche, süße Babyhaut, behaart zwar, aber zart und verletzlich. Darum geht es mir: Zugewandtheit und ein erster Spross von Vertrauen. Vielleicht spürt er endlich, dass ich an ihm interessiert bin; an ihm, diesem verqueren Menschen, der mit seiner Katze speist. Der tatsächlich anders ist, als alle Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Ich lag gar nicht einmal so falsch mit meiner Vermutung, dass da eine ganz große Mauer um ihn herum gebaut ist; so wie um jeden Verkäufer, Kellner, Fahrer hier im Tourismusgebiet. Es sind Mauern, vor dessen Wänden Schauspieler agieren, Touristinnen bezirzen und ausnehmen. Abdullah ist von diesem Verdacht noch nicht ausgenommen. Vielleicht geht er nur geschickter und raffinierter vor, nachdem die erste Masche nicht funktioniert hat. Ich bin auf der Hut. Eines kann ich aber tatsächlich sagen. Es fühlt sich gut an, wenn er auf meiner Brust liegt, ich seinen Kopf kraule; über die große Narbe von der Operation hinweg. Man hat ihm den Kopf aufgeschnitten. Ich frage: „Ist es wegen Krebs?“ Er dreht seine Hand nach links und rechts, um anzudeuten, dass man sich nicht sicher sei. Sein Knie ist auch operiert. Jetzt verstehe ich seine Neigung zum Hypochonder, die Einnahme von x Medikamenten und die unzähligen Vitaminpräparate. Ich habe das alles schon geahnt. Er liegt auf mir, will sich in mich eingraben. So wie er in einen sicheren Bau schlüpfen will. So, als ob er in den warmen Mutterleib zurück will. Dorthin, wo noch alles auf Anfang steht; am Beginn eines verheißungsvollen Lebens; das Leben, das sich für ihn als eine einzige Qual herausstellte. Vielleicht ist Sex nichts anderes, als die Rückkehr in den Urzustand, wenn auch nur für einen Moment; Sex ist die Illusion eines Neustarts, das kurzzeitige Vergessen aller Sorgen, Ängste und Schmerzen; das Ausschalten der Gedanken und die absolute Daseinsform im Hier und Jetzt? Bei welcher anderen Aktion außer dem Höhepunkt sind wir nicht abgelenkt, sondern wirklich da? Mir fällt keine andere ein.
© Perleberg 2024-12-01