Abendessen mit den Molchen | 3 / 3

Daniel Fischer

von Daniel Fischer

Story

Seit meiner zweiten Begegnung mit einem Molch in dem Gasthaus habe ich immer häufiger weitere Molche angetroffen. Ich begegnete Ihnen an allen möglichen Orten, in der U-Bahn, beim Spazierengehen, ja sogar im Supermarkt und auch schon im Büro. Mit der Zeit waren sie nicht nur alleine, sondern auch in immer größer werdenden Gruppen unterwegs. Mittlerweile trifft man sie überall an.

Kaum ein halbes Jahr ist es her, dass mir der erste Molch in der Küche begegnete. Für mich hat es den Anschein, als wäre ich der Einzige, für den das plötzliche Erscheinen der Molche und ihre schnelle Verbreitung etwas Besonderes, wenn überhaupt Erwähnenswertes darstellt. Meine Mitmenschen kommunizieren zwar ebenso wie ich mit den Molchen und streiten ihre Existenz nicht ab, aber sie tun so, als wären sie immer schon dagewesen. Ich frage mich dann oft, ist das ihre Art, sich mit der neuen Situation zu arrangieren? Oder geht es vielleicht mehreren wie mir?

Jedenfalls war ich sehr verwundert, nicht einen einzigen Artikel über die Molche in der Zeitung zu lesen. Ich fand jedoch heraus, als ich nach weiteren Informationen über sie suchte, dass die Molche mittlerweile sogar eigene Fernseh- und Radiosender hatten, die ausschließlich von Molchen betrieben werden. Ich verbrachte einen ganzen Abend damit, mir eine Sitcom anzusehen, in der ausschließlich Molche mitspielen, die sich aber abgesehen davon überhaupt nicht von „unseren“ Sitcoms unterscheidet.

Neulich Abend dann, als ich von der Arbeit heimkam, fand ich eine Einladung in meinem Briefkasten. Die neuen Nachbarn, die neben mir eingezogen sind, hatten mich zum Abendessen zu ihnen eingeladen. Wie der Name dieses Berichts schon erahnen lässt, stellte ich beim Betreten ihrer Wohnung überrascht fest, dass es sich um eine Molchfamilie – ein Paar mit zwei Kindern – handelte, die neben mir eingezogen war. Ich war froh, dass die von mir mitgebrachte Flasche Sekt gleich geöffnet wurde und nachdem ich mein Glas auf einen Zug geleert hatte, wagte ich es, die Frage zu stellen, die mich seit Wochen und Monaten beschäftigte: Wo kommen die Molche her? Ich hatte versucht, die Frage so höflich und bedachte zu formulieren, wie nur möglich. Kaum war sie ausgesprochen, begannen die Gastgeber zu kichern. Sie können ja nicht für alle Molche sprechen, sie jedenfalls hat es aufgrund ihrer Kinder aus der Innenstadt an den Stadtrand verschlagen. Sie hatten sich schon länger nach einem zu Hause im Grünen gesehnt.

Ich stutzte. Das war nicht ganz die Antwort, die ich erwartet hatte. Dann verschwand der Molchherr im Nebenzimmer und kam wenige Augenblicke später mit einem Cello zurück. Er nahm auf einem Hocker Platz und begann zu spielen. „Oh ja, darf ich um diesen Tanz bitten?“, und die Molchdame schmiegte sich an mich, legte eine Hand an meine Hüfte und wir begannen zu tanzen.

© Daniel Fischer 2021-08-15

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