von Lisa Schönbeck
Vor etwa zwei Monaten hat es angefangen. Ich saß eines Abends in meinem Zimmer und wusste, ich muss noch irgendwas unternehmen. Es war nicht der Drang nach Alkohol oder einer Party. Ich brauchte einfach nur wieder Bewegung. Seit einigen Monaten war arbeitslos und suchte verzweifelt nach einer neuen Stelle. Dazu war auch noch Winter gewesen, weswegen das Wetter nicht gerade motivierend war, um eine Runde zu drehen. Doch nun war der Frühling im vollen Gange und ich brauchte mal wieder „Auslauf“. Wobei man dazu sagen muss, dass ich nie wirklich Lust habe auf Sport. Vielleicht mal ab und an Fahrrad fahren oder wandern, doch mehr auch nicht. Noch dazu kommt, dass ich seit meiner Geburt eine leichte Muskelschwäche habe. Dies schränkte mich zwar nicht sehr stark ein aber machte sich besonders bei meiner Ausdauer sichtbar, weswegen joggen bei mir keine Option war. Und dennoch musste ich unbedingt mal wieder raus. Es war der erste schöne Tag seit Wochen und ich brauchte endlich mal die Chance meinem Gedanken-Chaos zu entfliehen. Also zog ich mir kurzerhand meine Stiefeletten und meine große, dunkelrote Fließjacke an, schnappte mir mein Handy, Kopfhörer und Schlüssel und ab gehts. Es war mittlerweile halb zehn abends. Die Dämmerung hatte eingesetzt und ein kühler Wind pfiff wispernd durch das Geäst der Bäume im Innenhof, den ich durchquerte, um zum Wall zu gelangen. Ich lebte in einer Kleinstadt, welche bereits 800 Jahre alt war und somit um die Innenstadt, in welcher ich wohnte, einen Wall hatte. Und auf eben diesem drehte ich nun eine Runde. Ich suchte mir vorher auf meinem Handy eine Playlist raus und ab gehts. Diesem Abend sollten noch viele weitere folgen, denn ich bemerkte, dass mir diese abendliche Runde echt guttat. Ich konnte meinen Kopf abschalten, mich vollkommen auf die Musik konzentrieren und die Schönheit der Grünanlage genießen. Das Faszinierende daran war, dass ich, auch wenn ich schon viele Male seit dem dieselbe Runde gegangen war, immer wieder etwas Neues entdeckt habe. Bei jeder Runde entdeckte ich ein neues Fotomotiv, oder ich begegnete anderen Menschen. Ich spürte jedes Mal das Leben um mich herum. Die Blätter wuchsen, Knospen bildeten sich und schlussendlich schlüpften aus diesen zarte Blüten. Ich war schon immer fasziniert von der Natur und von Pflanzen allgemein. Denn auch wenn es Lebewesen waren, waren diese dennoch komplett anders als wir oder die Tiere. Sie schienen denken zu können, auch wenn sie kein Gehirn hatten und hatten auch Lebensadern. Und wenn ich diese riesigen Bäume sah, bemerkte ich, wie winzig wir Menschen doch sind und was für eine vergleichbar kurze Lebenszeit wir doch besitzen. Genau das gab mir den Antrieb, welchen ich brauchte. Ich wollte diese kurze Zeit nicht in meinem Zimmer verschwenden. Leben ist jetzt. Dann mal los.
© Lisa Schönbeck 2023-06-26