von Silke Wrbouschek
Die letzte Etappe des Pennine Ways, über die Cheviot Hills stehen an. Es schüttet in Strömen. Ich war bereits am Tag davor in einer Kirche in Byrness, weil ich keine Unterkunft finden konnte. Die Verzweiflung war groß, dass ich fast in einer Kirche übernachtet hätte. Wäre die nasse Kälte nicht so fest an mich geklammert, ich hätte mich wirklich zwischen dem flackernden Kerzenlicht und der Messbänke niedergelassen.
Die einzige Pension hier war wegen Krankheit geschlossen, das große Hotel weiter vorne mit Holzbalken verbarrikadiert und um meine MSR-Muschel mit 1,67m² Liegefläche trocken aufbauen zu können, ein Wunschgedanke. So musste ich waschelnass wie ich war, Temperaturen um die fünf Grad+, vier Kilometer zurückgehen und mein Glück in der vorher gesichteten Campside versuchen. Ich sah kleine Holzhütten. Vielleicht… vielleicht ist eines frei.
Der Besitzer sah mich, schüttelte zuerst den Kopf und meinte:“Crazy girl, what are you doing here?“ Ich lächelte etwas schüchtern und fragte mit einem hoffnungsvollen Unterton ob eine Holzhütte frei wäre. Und tatsächlich, es war die letzte. Der überaus nette Mann überreichte mir Schlüssel und zurückgelassene verpackte Instantnudeln (Gott sei Dank!), aktivierte die Heizung und ich war Dank meines Gebetes vorher, überglücklich. Mir war es egal, dass diese Hütte ohne Bett und Toilette 40 Pfund kostete. Ich konnte meine Wäsche trocknen und schlafen.
Gestärkt startete ich den nächsten Tag. Kaum 10 Minuten marschiert, verschwand die Sonne und Regen setzte ein. Vor mir, ca 150 Höhenmeter bergauf. Doch diese hatten es in sich. Der bereits von den letzten Wochen aufgeweichte Boden hatte sich in eine Moorschlamm-Piste verwandelt. Drei Schritte vorwärts, fünf zurück. Meine Stockis halfen nur bedingt. Ganz rechts war hohes Gras und Gewächs, hoffte mich daran festhalten zu können und mich etwas hinauf zu ziehen. Ein Blick zurück lässt mich abermals beten, nicht abzustürzen. Meine Schuhe, noch von gestern klitschnass, waren schwarz überzogen. Einen-Meter-Spuren lies ich zurück. Es kostete viel Zeit und Kraft. Als wäre das nicht genug, setzte starker Wind und Nebel ein. Kurz darauf erreichte ich eine Hochebene, nur um nach weiteren zehn Metern, erneut eine 50 Höhenmeter hohe Wand zu erklimmen. Der Pfad wand sich zwischen hohen Felsen hindurch. Klettern war angesagt. Mein 15-Kilo Rucksack zog mich nach unten, ich musste nach oben. Zwischen den Felsen klemmte ich mich so gut es ging, ein und zog mich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Anderen Weg gab es nicht. Nach 1,5 Metern, wieder ein Pfad. Das Spiel wiederholte sich. Irgendwann hatte ich es geschafft, stand ich oben und weinte. Ich weinte vor Freude, das ich trotz des Sauwetters, nach fast 5 Monaten, meine Füße Schottland betreten durften. Ich war am 07.April 2019 in Sevilla/Spanien gestartet und küsste schottischen Boden am 31. August 2019. Das mitten im Sturm und noch 7 Stunden vor der Schutzhütte auf den Cheviot Hills.
© Silke Wrbouschek 2020-08-03