von Jana Kaminski
Montag morgen. Die Sonne scheint, Berlin erwacht. In den U- und S-Bahnen drängen sich mal gut, mal schlecht parfümierte und deodorierte Menschen zur Arbeit. Der Aufbau der Marktstände am Maybachufer ist bereits im Gange, es duftet nach Kardamom und Curry. Im Volkspark Friedrichshain kämpfen Jogger für mehr Power und Agilität und starten wohlriechend den Tag in Shape. Im Prenzlauer Berg bringen gestresste Eltern ihre Emils, Carlottas und Louisas in die Kita. Und in Mitte, jedes Mal, wenn einer der Agentur- und Start-up-Menschen seinen Recup-Becher mit Soja-Latte füllen lässt und die Tür sich öffnet, duftet es aus den kleinen Coffeeshops nach Kaffeebohnen und Brötchen.
Und Paula? Die steht verkatert mit Kettenfett-Fahne am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Hier riecht es anders. Anders im Sinne von würgereiz-erregendem Urin-Alk-Drogen-Cocktail. Nach Abenteuer und Ausnahme zugleich. Ein Ort, an dem man nicht sein möchte, ein Ort, an dem niemand sichtbar ist. Aber ein Ort, an dem man gerne ist, wenn man selbst nicht gesehen werden möchte.
Vor wenigen Tagen vom Ex verlassen, vor wenigen Wochen nach Berlin gezogen. So lebt er nun wieder in der Kleinstadt, zurück in dem Ort, wo die Alltäglichkeit des Lebens vor dem stimulierenden abenteuerlichen Zucken des Universums voller Entschlossenheit resigniert. Wo gewollte Planbarkeit und antrainierte Routine jeden stillen Versuch, aus dem täglich wiederkehrenden Mief auszubrechen, dominieren. Er ist an dem Ort, wo ihre Geschichte begann, an dem Ort, wo Paula die Decke den Kopf zerdrückte und sie ihn mit irrationalen Streetart-Techno-Jutebeutel-Fantasien nach Berlin lockte.
Vielleicht hatte er ja recht: Berlin, zu groß, zu anonym und der ganze Dreck, das müsse doch stinken im Sommer, sagte er. Zugezogen, zurückgezogen. Und während sie grübelnd den Eingang am Kotti zur U-Bahn sucht, peitscht ihr liebevoll ein dominanter Pizza-Döner-Zwiebel-Geruch multikulturelle Lebensfreude in die hinterste Ecke ihrer Nasenschleimhaut mitten ins Hirn. „Wie riechen eigentlich Abenteuer?“, fragt sie sich, als ihr die nächste Duftwolke die Seele mit Glückseligkeit ummantelt. So steht sie da, am Kotti, und inhaliert unbekannte Vorfreude und Liebe zum Leben. Und während sie sich mit jedem Atemzug von ihrer erträumten Jutebeutel-Hipster-Version ihrer selbst verabschiedet, ist sie jetzt bereit, das Leben in Berlin so zu nehmen, wie es kommen mag: Mal rau, mal dreckig, mal ungestüm, aber immer gespickt mit dem Duft nach Abenteuer an jeder Ecke.
© Jana Kaminski 2022-01-26