Wir fuhren mit den alten Fahrrädern den steilen Waldweg hoch. Nach der zweiten engen Rechtskurve gaben die Föhren eine Lichtung frei, auf deren Südhang sich die Weingärten der warmen Julisonne zuwandten. Die Eltern stutzten heute mit scharfen Sicheln die überhängenden Zweige der Reben ab. Dabei durfte ich nicht helfen, war doch das Hantieren mit einer frisch geschliffenen Sichel zu gefährlich für mich. Die Stimmung war gut. Die Arbeiten gingen ihnen locker von der Hand. Mein Vater pfiff sogar fröhlich den Radetzkymarsch. Wenn ich schon mit keinen gefährlichen Werkzeugen hantieren durfte, wollte ich irgendeiner anderen wichtigen Beschäftigung nachgehen. Mein Vater sagte, heuer sei ein Mäusejahr, und die elendigen Plagegeister ruinierten schlichtweg alles. Obwohl ich von den flinken grauen Gesellen doch ein wenig Angst hatte, wollte ich nicht untätig sein. So erteilte ich mir selbst eine Aufgabe. Meine Arbeit bestand darin, die unzähligen Mauslöcher mit Steinen zu verschließen. Ich dachte, so richteten die kleinen Nager keinen Schaden an den Weinstöcken an. Mit Beharrlichkeit sammelte ich passende Objekte. Zuerst lief ich mit jedem einzelnen Stein durch die Reihen und suchte nach offenen Eingängen ihrer Behausungen. Auf diese Weise legte ich in kurzer Zeit eine beachtliche Strecke zurück. Irgendwann wurde ich dann müde und gönnte mir eine kleine Verschnaufpause, um den in Stücke geschnittenen Apfel und das Butterbrot zu essen. Dabei dachte ich nach, worin ich mehrere Steine auf einmal transportieren könnte. Leider hatte ich heute das rote Sandküberl daheim vergessen. Ich raffte meine karierte Kittelschürze zu einem Säckchen zusammen und befüllte es mit so vielen Steinen, dass der dünne ausgewaschene Stoff zu reißen drohte. Von nun an ging es flotter. Anschließend stampfte ich fast im Akkord den Kies mit den Füßen fest in den Boden, um dem lästigen Getier das Herausschlüpfen gewaltig zu vermiesen. Nach einiger Zeit berichtete ich stolz den Eltern von der abgewendeten Mäuseplage. Sie lächelten und meinten, weil ich so fleißig war, könnte ich jetzt ruhig Feierabend machen.
Ich war mit meiner heutigen Arbeitsleistung durchaus sehr zufrieden und entschied mich noch ein wenig zu spielen. Das abgeschnittene Weinlaub zog sich wie ein grüner Teppich durch die einzelnen Reihen. Es erinnerte mich an die Fronleichnamsprozession anfangs Juni. Wir verteilten auf der Fahrbahn der örtlichen Straßen frisch geschnittenes, herrlich duftendes Gras. Alle Erstkommunionkinder, die Mädchen in ihren weißen Spitzenkleidern, die Buben in schwarzen Anzügen, durften am Umgang direkt vor dem Himmel gehen. Der Binder, der Nebenführ, der Löscher und der Vater von Christian trugen den Baldachin, unter dem der hochwürdige Herr Pfarrer mit der blumengeschmückten Monstranz andächtig schritt. Wir Mädchen streuten zu Ehren Christi bunte Rosenblätter auf das grüne Band unter unseren Füßen. Um sich die Zeit bis zum Nachhausegehen zu vertreiben, zelebrierte ich feierlich eine Prozession. Ich hüpfte in meiner staubigen Kittelschürze auf den ausgebreiteten Weinblättern durch die Reihen und streute imaginäre Blüten zur Ehre der Weingartengeister. Danach rastete ich doch noch ein wenig und schlief rechtschaffen müde ein.
© Christa Weißmayer 2023-01-04