Abschied

Ralph Saml

von Ralph Saml

Story

Omi war ein ganz besonderer Mensch für mich und mein absoluter Mittelpunkt. Mit 17 zog ich wieder bei ihr ein. Doch wir gerieten immer wieder aneinander, weil ich zu der Zeit begann, mich mit Mädchen zu treffen.

Mit 19 machte ich die Ausbildung zum Schauspieler. Meine Lehrerin war auch meine Agentin.

Eines Tages fragte sie mich, ob ich Lust hätte, in Wilhelmshaven Theater zu spielen. Diese Stadt liegt im Norden Deutschlands. Ich war sofort einverstanden.

Der Indentant kam nach Wien, ich sprach vor und wurde engagiert.

Nach und nach begriff ich, welche Konsequenzen mein Handeln bedeutete. Ich musste Wien, und somit Omi verlassen.

Um das emotionale Chaos in mir noch zu vergrößern, lernte ich zu dieser Zeit eine junge Frau kennen, Marzena. Wir verliebten uns und lebten teilweise zusammen in ihrer Wohnung.

Dann kam der Abschied. Ich habe das Bild noch ganz deutlich vor Augen: Ich steige mit den Koffern in ein Taxi und Omi steht einfach nur da. Kein Winken, nichts. Nur ihr ernster Gesichtsausdruck.

Das und der Abschied von meiner Freundin haben mir sehr zugesetzt (Marzena ist dann doch aus Wien abgehauen und zu mir nach Wilhelmshaven gezogen, doch das ist eine andere Geschichte).

Meine Großmutter hat sich dann komplett aufgegeben. Sie wollte nicht mehr.

Ich fühlte mich hilflos, in Telefonaten mit meiner Mutter zu erfahren, dass sie immer mehr abbaute. Omi verbrachte die meiste Zeit im Bett, verwechselte Tag und Nacht. Dann bekam sie eine Blutvergiftung, die sie sich zugezogen hatte, als sie sich die Fußnägel schneiden wollte. Sie kam ins Spital, dass sie nicht mehr verlassen sollte.

28. Februar 1982.

Als ich gerade ins Theater wollte, bekam ich ein Telegramm. Das wars. Der Moment, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte, war gekommen. Die Schülervorstellung spielte ich wie in Trance. Das Schlimme war jedoch, dass ich aufgrund meiner Verpflichtungen nicht an der Beerdigung teilnehmen konnte.

Als ich im Sommer darauf wieder in Wien war, geschah etwas sehr Sonderbares: An meinem Geburtstag, ich lag im Bett, hatte ich das Gefühl, dass mich jemand berührte. Und dann hörte ich eine Stimme, die mir zuflüsterte: „Sei gscheit, Ralphi“.

© Ralph Saml 2019-11-06

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