Allein im Internat

Walter Weinberg

von Walter Weinberg

Story

Ein Mann kam durch die TĂŒr und stellte sich vor: “Ich bin Euer PrĂ€fekt Pater Angleitner.“ Ein blonder Junge stellte ihm gleich eine Frage: “Herr Lehrer …“ Ich war ĂŒberrascht, denn meine Mutter wies mich darauf hin, die neuen Lehrer und Erzieher nur mit „Herr Professor“ anzusprechen. Ich war also doch nicht der einzige, dem das komisch vorkam. Ich hatte mich gerade wieder ein wenig beruhigt, als ich plötzlich Mama durchs Fenster erblickte, wie sie gerade die Stiege zum Parkplatz hinauf ging. Mir fiel erst jetzt auf: sie hatte das dunkelbraune Kleid mit dem weißen Muster an, dass sie sonst nur zu feierlichen AnlĂ€ssen trug. Sie musste noch mit der kleinen Frau gesprochen haben, sonst wĂ€re sie schon weg gewesen. Ich fing wieder an zu weinen.

Nach der BegrĂŒĂŸung des PrĂ€fekten fĂŒhrte er uns in den barocken Speisesaal. Der Saal war riesig und sah aus, wie eine Kirche. SpĂ€ter erfuhren wir, dass der Speisesaal tatsĂ€chlich frĂŒher die Kapelle des Schlosses war. Nach dem Essen mussten wir auf unsere Zimmer gehen. Wir stellten uns dort gegenseitig vor. Die anderen sprachen davon, dass einer mit dem Namen „Guido“ fehlt. Solch einen Namen hatte ich noch nie zuvor gehört. Da kam er auch schon herein, ein dicker rothaariger Junge, und er war ziemlich gut gelaunt. Er hatte sich das Eckbett an der Trennwand zu den Waschbecken reserviert, das er in allen vier Jahren, egal in welchem Zimmer, wieder fĂŒr sich beanspruchte. FĂŒr mich war kein gutes Bett mehr frei. Es war das Mittlere, wo man am Besten gesehen wurde. Ich konnte mich auf keine Seite drehen, wo ich unbeobachtet war.

Wir mussten noch einmal in den Studiersaal. Dort hĂ€nselte der große blonde Junge, der „Herr Lehrer“ gesagt hatte, den starken dicken Buben und verhöhnte ihn: “Gel? Du bist mit Deiner Mama verheiratet!“ Irgendwie musste er erfahren haben, dass die Mutter des starken Buben nicht verheiratet war. Der starke Junge blickte traurig und hatte TrĂ€nen in den Augen. Nach dem Abendgebet mussten wir Schlafen gehen. Der starke Bub zog sich vollstĂ€ndig nackt aus, und wusch sich beim Waschbecken mit einem Waschlappen. Als wir das sahen, mussten wir alle kichern. Es fielen auch blöde Bemerkungen wegen seiner Figur. Er war gar nicht so stark. Auch er weinte, so wie ich in dieser Nacht. Ich vermisste es allein in einem Zimmer zu schlafen. Es war auch viel zu frĂŒh fĂŒr mich um diese Zeit ins Bett zu mĂŒssen. Zuhause durfte ich mir noch einen Film im TV ansehen und bekam eine heiße Schokolade. Irgendwann schlief ich dann doch ein.

Als ich am nĂ€chsten Morgen aufwachte, war ich sehr gespannt auf den ersten Schultag in dieser neuen Schule. Ich wusste, es hat ein neuer Lebensabschnitt fĂŒr mich begonnen.

© Walter Weinberg 2020-08-04

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