Abschied

Johannes Schneider

von Johannes Schneider

Story

Ich war etwas außer Atem, als ich ankam, ein Hauch von Kater-Kopfschmerzen machte sich bemerkbar, als ich ankam. Lara und Rayssa standen schon am Bussteig und warteten auf mich. Die beiden und ihre Freundin Bia, die heute nicht kommen konnte – das brasilianische Trio – hatten mich das ganze Jahr über begleitet, von den Kennenlernpartys bis zum letzten Tag. Das war’s also, dachte ich. Vorbei.

Zehn Monate war ich in Oviedo, fast ein ganzes Jahr, und es fühlte sich so an, als wäre ich schon seit Ewigkeiten hier und gleichzeitig gerade erst angekommen. Ich kannte jede Ecke, kannte jeden in der Stadt (oder zumindest alle Erasmusstudenten) und kannte doch nichts, hatte so viele Ecken nicht gesehen, hätte noch so viel erleben können. Und wollte gleichzeitig nicht mehr.

Lara und Rayssa nahmen mich in den Arm und wir konnten ein paar Tränchen nicht mehr unterdrücken. In den letzten Wochen hatten sich immer mehr Freunde und Bekannte verabschiedet und kaum jemand war mit trockenen Augen gegangen. Melissa und Adriana, weg. Paulina und Vanessa aus Deutschland, weg. Daniel und Eva, meine Mitbewohner, waren für den Sommer zu ihren Familien gefahren. Valeria, weg. Paula hatte vor ihrem Abschied noch von dem tollen Deutschen geschwärmt, den sie ein paar Tage zuvor in Gijón kennengelernt hatte. Die letzte Woche war ich alleine in der Wohnung.

Am Vorabend hatten wir dann ein letztes Mal richtig gefeiert, die letzten Erasmus, ein kleiner Haufen, Rayssa, Lara und Bia und noch ein paar andere, fast alleine in den Bars, denn im Sommer war kaum jemand in der Stadt. Ich verabschiedete mich, von den meisten vielleicht für immer (wieder ein paar Tränen) und machte mich auf den Heimweg. Als ich am Vorplatz der Kathedrale vorbei lief, setzte ich mich kurz auf den Brunnen und betrachtete die Kirche. Wie oft war ich hier vorbeigekommen, hundertmal, öfter, jeden Tag? Der gotische Kirchturm war für mich zum Symbol der Stadt geworden, ein Wahrzeichen und Symbol meiner Zeit hier. Gleichzeitig war ich mittlerweile so oft feiern gewesen und hatte so viel erlebt, dass ich irgendwie froh, dass es vorbei war. Ich konnte nicht mehr, physisch und psychisch. Bestimmt eine halbe Stunde saß ich da und hing meinen Gedanken nach.

Als ich in die Wohnung kam, waren Conso und ihr Mann Chicho anscheinend schon in meinem Zimmer gewesen und hatten umgeräumt, selbstverständlich ohne Bescheid zu geben oder um Erlaubnis zu fragen. Ich war wütend, aber nicht überrascht. Chicho hatte mir letzte Woche heimlich einen Teil der Kaution zugesteckt. Sicher würde Conso irgendeine Ausrede finden, um mir den Rest nicht zurückzahlen zu müssen. Meine Vermieterin würde ich kaum vermissen.

Ich würde noch nicht gleich nach Deutschland zurückfliegen. Erst würde ich einen Monat in Porto verbringen, eine kleine Verschnaufpause vor der Rückkehr. Schweren Herzens und Koffers stieg ich in den Bus ein, winkte Rayssa und Lara zu – wieder eine Träne – und suchte mir einen freien Platz.

© Johannes Schneider 2023-01-21

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