Abschied in Dankbarkeit

LillyRuth

von LillyRuth

Story

Es gibt Menschen, die schickt einem der Himmel. Für mich war es eine Haushälterin, die sich nach dem Tod meiner Mutter vorübergehend um unser Zuhause gekümmert hatte. Eigentlich wäre es ihr Job gewesen, Ordnung in den Haushalt zu bringen. Doch stattdessen hatte sie rasch erkannt, dass es viel wichtigere Baustellen in unserer Familie gab. Und so räumte sie dort auf, wo am dringendsten aufgeräumt werden musste: in unserer Seele. Auf dieser Plattform habe ich ihr bereits einen Text gewidmet. “Haushaltshilfe mit Guns N Roses-Vorliebe” nannte ich die Geschichte, in der ich ihre unkonventionelle Art beschrieb.

Vor einigen Tagen ist diese wunderbare Frau dorthin zurückgegangen, woher aus meiner kindlichen Sicht gekommen war: in den Himmel. Ins Licht. Seit ich davon weiß, bin ich in Gedanken oft bei ihr. Oder ist sie bei mir? Wie auch immer man es sehen mag, mir fallen ständig neue, herzerwärmende Erinnerungen an unsere liebe Haushaltshilfe ein.

Etwa, wie sie meinen Vater dazu überredete, dass ich – die Jugendliche, die noch nie in der Großstadt gewesen war – mit ihr zum Elton John-Konzert nach Wien fahren durfte. Um zwei Uhr früh holte er uns danach vom Bahnhof Amstetten ab. Sie hat – wie sie es ihm versprochen hatte – gut auf mich aufgepasst in der fernen Metropole.

Wunderbar auch die Erinnerung an gemeinsame Filmnachmittage, zu denen sie meine kleine Schwester und mich in ihre private Wohnung eingeladen hatte. Etwas wie ein Videorecorder war uns damals fremd gewesen und so sahen wir uns gemeinsam mit ihr Familienfilme wie “Curly Sue” oder “Scott und Huutsch” an. Heimelig fühlte sich das alles an.

Noch heute berührt mich, wieviel Gespür sie im Umgang mit meinem introvertierten und menschenscheuen Bruder hatte. Er liebte ihre Mehlspeisen, traute sich aber nie, in ihrer Gegenwart in die Küche zu gehen und zu fragen, ob er ein Stück haben könnte. “Ich mache es jetzt immer so, dass ich sofort nach dem Herausnehmen des Kuchens aus der Küche raus gehe und mir im Garten oder bei der Wäsche eine Arbeit suche”, erzählte sie mir einmal zuzwinkernd. Meist huschte mein Bruder tatsächlich gleich darauf in die leere Küche und holte sich mehrere Stücke der frisch gebackenen Köstlichkeiten. Sie wusste eben intuitiv, wie sie jeden von uns richtig behandeln musste.

Nun ist sie dort, wo auch meine Mutter, deren Platz sie vorübergehend eingenommen hatte, ist. Auch mein Bruder, der im Vorjahr für immer von uns gegangen ist, wird sich freuen, sie wiederzusehen. Die vielen Süßspeisen hat sie übrigens meist extra für ihn gebacken. Er hat es sicher gespürt, dass dies ihre Art war, ihm Zuwendung zu schenken.

Morgen werde ich in der Kirche sitzen und Abschied nehmen von dieser besonderen Frau. Und ich werde dabei den Duft ihrer vielen Kuchen in der Nase und Elton John im Ohr haben. Und auch, wenn Tränen meine Wangen hinunter laufen werden, so wird es in diesen Stunden nur ein bestimmendes Gefühl geben: jenes der Dankbarkeit. Für die Liebe, die sie uns geschenkt hat.

© LillyRuth 2021-10-08