von Elke R. Richter
Zu dem Abendessen durfte ich noch zwei Begleiter mitnehmen. Deshalb fragte ich Gerd und seinen Zimmerkollegen, ob sie mitkommen würden.
Inzwischen waren auch unsere Koffer angekommen. Doch ich zog mein neues Kleid, die blaue Abaya, an. In der Hotellobby erwarteten mich die drei Herren, und gemeinsam fuhren wir mit dem Fahrstuhl in den obersten Stock. Im Restaurant führte uns ein Kellner an einen Tisch am Fenster und fragte nach unseren Wünschen. Da ich mich nicht auskannte, empfahl er verschiedene Spezialitäten. Eine bestand aus Reis, Linsen, Zwiebeln und Kichererbsen, die vorzüglich schmeckte. Zwischendurch bewunderte ich die Aussicht: Kairo bei Nacht war äußerst faszinierend. Nach dem Essen zeigte eine hübsche junge Frau einen Bauchtanz. Sie kreiste geschickt mit den Hüften und lächelte verführerisch. Die Männer waren begeistert und steckten ihr Pfundnoten ins Dekolleté.
Als die Vorstellung zu Ende war, sprachen wir über unsere Reiseabenteuer. Schließlich verabschiedeten sich der Reiseleiter und der Zimmerkollege. Gerd und ich blieben noch sitzen. Eine Kapelle spielte und manche Gäste tanzten. Wir tranken Wein und er erzählte von seiner Arbeit als Berechnungsingenieur. Ich berichtete ihm, dass ich in den letzten Wochen mein Studium beendet hatte. Nach meiner Praktikumstätigkeit als Medizinalassistentin wollte ich in die Schweiz gehen.
Es war bereits nach Mitternacht, als wir aufbrachen. Draußen war es angenehm warm. Der Garten erschien im Mondlicht wie verzaubert zu sein. Die Blumen dufteten, am liebsten wäre ich noch eine Weile spazieren gegangen. Doch am nächsten Vormittag sollten wir bereits nach Hause fliegen. So sagten wir einander »Gute Nacht«.
Viel zu früh klingelte der Wecker. Meine Mutter schaute mich nur seltsam an und war sonst überhaupt nicht gesprächig. Nach dem Frühstück packten wir unsere wenigen Sachen in die Koffer. Ein Bus brachte uns zum Flughafen, und wir verabschiedeten uns vom Reiseleiter. Dann hieß es wieder warten. Die Maschine hatte Verspätung, aber das waren wir inzwischen gewohnt. Überall standen bewaffnete Soldaten, denn wir waren immer noch die einzige Reisegruppe. Vielleicht genossen wir deshalb diesen besonderen Schutz.
Als wir endlich ins Flugzeug eingestiegen waren, fragte Gerd eine Stewardess, ob wir uns in die erste Klasse setzen durften. Sie gestattete es, und wir suchten uns Plätze in den vorderen Reihen aus. So konnten wir unsere Unterhaltung vom gestrigen Abend fortsetzen. Nach einem Flug ohne weitere Zwischenfälle landeten wir in Frankfurt/Main. Beim Abschied gab er mir seine Adresse, und ich versprach ihm, das geliehene Geld so bald wie möglich zu schicken. Ob wir uns wiedersehen würden?
© Elke R. Richter 2022-05-20