Abschiedsdrama

Emma Breuninger

von Emma Breuninger

Story

Eine Woche vor Ostern 1992 musste ich in die Klinik. Ich hatte eine Magen-Darm-Blutung und man wusste nicht genau, woher, und wo die Blutung sich befand. Ich musste also gründlich untersucht werden. Die Diagnose hatte ich praktisch selbst gestellt (dasselbe Problem hatte ich 4 Jahre zuvor in Mexiko schon durchlebt). Es war Samstag vor Palmsonntag und ich landete in der Notaufnahme der Uni-Klinik für Innere Medizin. Dort musste ich über Nacht bleiben, denn alle Stationen waren voll belegt. Auch noch am Sonntag dasselbe Problem, kein Bett frei. Nur in der Abteilung für Hämatologie gab es freie Betten, also bei den Schwerstkranken, die Leukämie oder andere schlimme Bluterkrankungen hatten. Dort auf der Station nahm man mich gerne auf. Endlich mal eine nicht so kranke Patientin. Ich landete in einem Zweibettzimmer. Das zweite Bett war belegt durch eine Leukämie-Patientin, die aber über das Wochenende nach Hause durfte. Sie wurde erst abends gegen 22.30 Uhr von den Familienangehörigen zurückgebracht.

Es war eine Italienerin aus Sizilien, in Begleitung ihres Mannes und ihrer beiden Schwestern. Alles schon ältere Personen. Die Besucher blieben noch eine halbe Stunde da. Nur der Mann sprach gutes Deutsch. Ich holte meine Italienisch-Kenntnisse aus den versteckten Schubladen meiner Hirnzellen, was alle sehr freute.

Doch dann kam der Abschied. Die beiden Schwestern wollten noch heute Nacht mit dem Bus nach Sizilien zurückfahren.

Nun fingen die beiden an, laut und dramatisch zu jammern, zu weinen. Automatisch fing die Patientin auch an zu weinen. Der Mann kam zu mir und sagte: “Oje, jetzt machen die so ein Drama! Das ist nicht gut für meine Frau. Sie machen es ihr nur noch schwerer. Wir wissen ja, dass sie möglicherweise nicht mehr lange leben wird, aber müssen da die Schwestern ihr das Herz noch schwerer machen? Können die sich nicht zusammenreißen? Darf ich Sie um etwas bitten?”

„Ja, natürlich!”

“Können Sie, wenn wir dann weg sind, meine Frau ein bisschen trösten, damit sie über den Abschiedsschmerz besser hinwegkommt?!?”

“Klar, mache ich gerne!”

Und dann gingen die drei, der Mann und die beiden Schwestern. Zurück blieb eine schluchzende, todkranke Frau. Ich ging zu ihr, umarmte sie, tröstete sie und war froh, dass ich einst Italienisch gelernt hatte.

Dennoch war die Verständigung schwierig, denn die liebe, gute Frau sprach gar nicht Italienisch. Sie sprach Sizilianisch. Sie verstand mich immer, aber ich sie meist gar nicht. Oft musste ich raten. Da halfen meine Erinnerungen an das Napolitanische, das ich über ein Jahr lang täglich auf dem italienischen Kreuzfahrtschiff “Achille Lauro” gehört hatte, als ich dort als Reiseleiterin arbeitete.

Am Karfreitag durfte ich wieder nach Hause. Es war gleichzeitig der Geburtstag meines Sohnes. Er wurde 6 Jahre alt. Die Kinderparty hatten wir absagen müssen, aber sein schönstes Geschenk war: Mami war wieder zu Hause.

Foto: Unsplashed / Martha Dominguez de Gouveia

© Emma Breuninger 2021-01-17