Es ist aussichtslos. Drei gegen einen. Ich kann seinen Atem hören. Wenn er tief ausatmet, spüre ich, wie der warme Luftstoß sich über meine Oberarme und Schultern einen Weg in mein Gesicht bahnt. Aus Anstand kämpfe ich gegen das Verlangen, mich vor Ekel zu schütteln. Bloß keine Schwäche zeigen.
Nachdem ich den ersten Frontalangriff abwehre, spüre ich eine Berührung am rechten Arm. Er muss sich mir unauffällig genähert haben, vielleicht war ich auch durch die Warmluft-Front abgelenkt. Arbeiten die beiden etwa zusammen? Ich wittere einen Komplott. Wie dem auch sei: Er ist jetzt da. Besitzergreifend boxt er sich mit seinem Ellbogen den Weg zur uneingeschränkten Platzhoheit frei.
Da sitze ich nun, mit einem lauwarm temperierten Gesicht, eingeengt und in die Schranken gewiesen. Ohne das freundliche Lächeln des älteren Herrn von schräg rechts, wäre der Tag verloren. Und dann legt er los: Käse-Sandwich, ein paar leckere Oliven, dazu ein Bier und fertig ist das passende Geruchsambiente zu meiner momentanen Situation. Was habe ich bloß falsch gemacht? Hat er deshalb so gegrinst? Wusste er was er mir antut?
Ich halte es nicht mehr aus: Mein Körper schüttelt sich. Ich muss lächerlich aussehen, meine Arme um meinen eigenen Körper geschlungen, als würde ich eine unsichtbare Zwangsjacke tragen.
Ich möchte meine Frau anrufen – oder besser gesagt: ihr schreiben. Vor diesen Männern möchte ich nicht laut sprechen. Doch ich bin zu spät: Die anderen haben mich bereits vom Stromnetz abgeschnitten, mein Akku bleibt leer. Und, als würde es mir mitten in mein, nach wie vor in unregelmäßigen Abständen angehauchtes Gesicht reiben wollen, telefoniert der Warmatmer lauthals los. Die Person am anderen Ende der Leitung scheint ein Gag-Feuerwerk abzutrennen, so laut wie es mir ins Gesicht lacht. Ha, ha, ha, peitscht es mir in die Augen.
Ich lenke mich ab, indem ich unauffällig die Mails und SMS des Ellbogen-Typs mitlese. Es stellt sich heraus, dass seine Frau sauer auf ihn ist – der Einsatz seiner Kraft ist wohl ein Ventil. Ich fühle mich besser. Der Käsekumpel von gegenüber hingegen erachtet es als wichtig, sich mal so richtig schön zu strecken. Gut, dass ich meine Beine sowieso unter meinem Sitz platzieren wollte, um eine gewisse Grundspannung auf den Oberschenkeln zu haben.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass mir die drei Mitstreiter zu nahe sind. Sie sind in meiner persönlichen Zone – und ich in ihrer. Ich höre, sehe, rieche, fühle sogar Dinge von ihnen, die wahrscheinlich nicht mal enge Freunde kennen. Gleichwohl scheint sie das überhaupt nicht zu stören. Bin ich verklemmt? Meine Gedanken werden von einer Durchsage unterbrochen: „Bitte halten Sie zu jeder Zeit den empfohlenen Mindestabstand von 1,50 Metern.“
Der unfreiwilligen Schmusezeit überdrüssig fasse ich einen Entschluss: Einen Sitzplatz buche ich nie wieder in einem geschlossenen Abteil. Nur noch im Großraum, in der Anonymität.
© Sebastian Lühmann 2021-08-13