Acht Uhr

Frederik Dressel

von Frederik Dressel

Story

Als die Aspirin zu wirken beginnt, stehe ich auf. Der Morgen graut mittlerweile schon so sehr, wie es mir vor dem Tag graut, und trotzdem zwitschert irgendwo ein Vogel. (Wieso eigentlich? Ist nicht immer noch Winter?). Im Badezimmer huste ich mir die Überreste des Vorabends von der Lunge und hoffe, dass die roten Schlieren im Schleim nichts zu bedeuten haben; dann mache ich mir einen Kaffee. Leider nicht in der Bialetti, auch wenn das zweifellos literarischer wäre – die hat sie mitgenommen, als sie meine Wohnung zum letzten Mal verlassen hat; sondern in der kleinen French Press, für die das deutsche den gewohnt poetischen Begriff der ‘Pressstempelkanne’ kennt (und ja, das wird tatsächlich mit drei s geschrieben).

Mein Blick fällt auf die Flasche Calvados, aber ich widerstehe der Versuchung, mir einen Schluck dazuzuschütten. Und versuche stattdessen, zu antizipieren, was für ein Tag mich erwartet. Ein verkaterter, folglich, das steht schon mal fest, und ein kalter obendrein (der Winter). Gut, ersteres ist auszuhalten; das ist ein biologischer Prozess, Probleme werden kleiner, wenn man sie versteht. Dass das Thermometer -2°C Außentemperatur anzeigt, ist da schon ärgerlicher.

Ich bin nämlich Privatermittler von Beruf und verbringe als solcher einen weit größeren Teil meiner Zeit im Freien, als die meisten Menschen wohl annehmen würden; wobei das voraussetzt, dass ‘die meisten Menschen’ regelmäßiger über meinen Beruf nachdenken, als sie das in Wirklichkeit wohl tun. Ich dagegen wollte Detektiv werden, seit ich denken kann. Als Kind bescheinigte man mir eine scharfe Beobachtungsgabe und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und schon im Alter von vier Jahren existieren Aufnahmen von mir, auf denen ich mit dem grauen Borsalino meines Großvaters vor dem Spiegel posiere.

Den habe ich im realen Leben gegen eine Baseballkappe eingetauscht (weil es keine einfachere Möglichkeit gibt, sein Äußeres zu verändern, sprich: nicht aufzufallen), ansonsten aber sind es vor allem die ‘zwei Tugenden des Soldaten – das Rauchen und das Warten’, in denen ich mich während meines Wehrdienstes zu Genüge üben konnte, die mir bei meiner täglichen Arbeit zugutekommen. Die ist nämlich weit weniger von erotisch aufgeladenen Begegnungen mit fremden Schönen in verrauchten Büros und sich daran anschließenden Verfolgungsjagden mit Schusswaffengebrauch geprägt, als es mich die amerikanische hard-boiled fiction hat glauben machen – sondern vor allem von der Observation. Und die wiederum besteht im Wesentlichen aus a) Warten auf ein Ereignis und b) Rauchen, um sich a) zu vertreiben.

Ich kopiere die Adresse aus dem Kalender in die Navigations-App meines Smartphones, dann setze ich die Kappe auf und verlasse meine Wohnung. Und schon im Treppenhaus stecke ich mir die erste Zigarette an, weil sie das einzige ist, was mir ein bisschen das Gefühl gibt, wie Philip Marlowe zu sein.

(Photo by “the blowup” on Unsplash)

© Frederik Dressel 2021-03-14

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